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gehen." Von allen Bewohnern des Städtchens
war Herr Wiesthaler der einzige, welcher diese
Anfrage sofort hätte erwidern können, da er in
dieser Hinsicht am besten unterrichtet war. Als
Wiesthaler, nachdem er an jenem Schützenfestabend
von Franz zu Boden geworfen war, mit drohender
Gebärde davoneilte, trug er das glühende Gefühl
verletzter Eitelkeit, gedemüthigter Anmaßung mit
sich fort. Von Frau Hulda direkt dazu auf
gefordert, Dora die Kour zu machen, war er
auf jene handgreifliche Weise für fein Benehmen
gezüchtigt worden und hatte sich seitdem scheinbar
völlig passiv verhalten. Als Hulda ihn später
fragte, ob er seine „Bewerbung" um Dora nicht
fortsetzen wolle, hatte er eine ablehnende Antwort
ertheilt und sich der Frau seines Chefs gegen
über sogar auf eine moralische Höhe gestellt,
indem er sagte, er wisse recht gut, daß es ihr
nur darum zu thun sei, Dora durch ihn ins Gerede
zu bringen, er aber schätze das junge Mädchen
viel zu hoch, als dazu seine Hand bieten zu
können, heimlich aber war er, seinem Rachegelüste
folgend, gegen Franz und Dora thätig genug gewesen.
Selbst, so sah er wohl ein, hatte er weder die
Kraft, noch die Macht, sich für die ihm zugefügte
tödtliche Beleidigung an Franz rächen zu können
— er mußte Solches durch eine andere Hand
bewerkstelligen und fand auch eine solche. Einer
seiner Freunde betrieb in der Residenz ebenfalls
das landwirthschaftliche Studium und dabei auch
mit großem Eifer das des Fechtbodens. An
diesen wandte er sich, er suchte zuerst mit großer
Vorsicht das Verhältniß, in welchein der alte
Schläger zu dem Sohne seines Chefs stand, zu
sondiren und als der Erstere ihm erwiderte, er
halte den Franz Schröder für einen Gelbschnabel,
baute er weiter, schwindelte dem Freunde alles
Mögliche von Franz vor, erwähnte dessen Ver
hältniß zu Dora, setzte hinzu, daß das Mädchen
es jedoch in seiner Abwesenheit mit einem andern
halte und reizte den Raufbold, Franz gelegent
lich eine derbe Lektion zu ertheilen. Wiesthaler's
Freund, dem cs auf eine Mensur mehr oder
weniger nicht ankam, brach die Gelegenheit zum
Streite eines Tages in einem Restaurant vom
Zaun, er spottete über den alten Schröder mit
der „Pvntaksnase", ließ, als dies nicht recht
verfangen wollte, auch ein fatales Wörtchen über
die „sogenannte Pflegetochter" fallen und hatte
damit seinen Zweck erreicht. Franz gerieth in
Eifer, ein Wort gab das andere und das Ende davon
war eine Herausforderung. In dem statt
gefundenen Duell hatte Franz von seinem Gegner
eine schwere Kopfwunde erhalten und war be-
sinnngslos in ein Krankenhaus geschafft worden,
wo er nunmehr schon den dritten Tag darniederlag.
Alles dies wußte Herr Wiesthaler ganz ge
nau, da sein Freund, welcher nach dieser Auf
sehen erregenden Affaire es vorgezogen hatte,
aus der Residenz zu verschwinden, ihn von der
Schweizer Grenze aus um einige Zwanzigmark
scheine angepumpt hatte, die der ehrenwerthe
Geschäftsführer seinem ebenso ehrenwerthen
Bundesgenossen aus Dankbarkeit für die prompte
Ausführung seines Wunsches auch sofort über
mittelte. Daß die Nachricht von dem Geschehenen
in der Kürze zu Herrn Daniel dringen würde,
war selbstverständlich, deiuivch konnte Wiesthaler
sich einer gewissen Unbehaglichkeit nicht erwehren,
welche ihn nach Kenntnißnahme der telegraphischen
Anfrage beschlichen hatte. Das böse Gewissen
fing sich eben bei ihm zu regen an, war es doch
keine Kleinigkeit, daß durch seine Veranlassung
der einzige Sohn seines Herrn zwischen Leben
und Tod schwebte , denn wäre die Verwundung
nur eine leichte gewesen, sodaß eine Vertuschung des
Rencontres hätte ermöglicht werden können, würde
sein Freund sich keinesfalls ans und davon ge
macht haben. Doch eine gewisse laxe Welt
anschauung, welche der junge Mensch angenom
men, half ihm bald über alle Bedenken hinweg,
er hatte in dem zweiten Theater der Residenz
„Fatinitza" gesehen, und tröstete sich schließlich
mit der Ansicht, daß es einfach das „Kismet"
Franz Schröders gewesen sei, verwundet zu wer
den und er dabei also gar nicht in Betracht
komme. Mit dieser Ueberzeugung ging Herr
Wiesthaler in den „goldenen Engel" zum Mit
tagessen und ließ es sich verhältnißmäßig recht
gut schmecken. Mit weniger Appetit wurde in
dessen im Schröder'schen Hause zu Mittag ge
speist, da die Stimmung daselbst eine sehr ge
drückte geworden war. Obwohl, wie bekannt,
weder Daniel, noch Frau Hulda und Dora
irgend etwas von dem eingetretenen Unglücks
fall wußten, hatten doch alle drei das Gefühl,
daß sich irgend etwas Schmerzliches mit Franz
zugetragen habe und mit ängstlicher Spannung
wurde die Zeit erwartet, in welcher die Rück
antwort auf die abgesandte Depesche eintreffen
konnte. So verrann in fast unerträglicher lautloser
Schwüle Stunde auf Stunde, bis endlich die
lakonische und doch so viel sagende Antwort an
langte: „Ausführlicher Brief schon dort einge
troffen. Telegraphisch zu umständlich. Bitte
dringend zu kommen. Befinden nicht gebessert."
Aus der Gewitterschwüle grollte bereits drohend
der Donner, der Blitz aber sollte erst später
einschlagen. „Das ist gar Nichts! Das ist gar
Nichts!" schrie Herr Daniel und ballte das
Telegramm zusammen und warf es mit einer
Verwünschung auf de» Tisch. „Weshalb ist dem
Esel das Telegraphiren zu umständlich? Und
wenn's hundert Mark gekostet hätte, ich würde