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In geborstener Wand, tief in dem Mauerspalt,
Vogelbeerengesträuch wuchert mit Purpurfrucht,
Und bemoostes Gemäuer
Deckt der blühende Fliederstrauch.
Bäume, üppig voll Obst, schmücken den Rasenplatz,
Einem Teppiche gleich, blumendurchwirket, den
Einst, von Reben umrankt des
Kreuzgangs schattiger Flur umschloß.
Rosen blühen wie einst duftend im Garten noch,
In der Bäume Gezweig zwitschert die Vögelschaar
Und die Nachtigall singt im
Busch melodisch ihr Minnelied.
Einem Baldachin gleich wölbet der Himmel sich
Drüber, golden umsäumt scheidend die Sonne ihn,
Abends funkelnd mit Sternen,
Wie in dunkelen Sammt gestickt.
Und ein malerisch Bild ward aus dem Trümmerrest,
Ringsum, feierlich still, waltet die Poesie —
Und versöhnet die Herzen
Mit dem wechselnden Zeitgeschick.
Kart Iiinck.
Chromatische Epigramme.
Wer altbackne Motive verdreht und verschlungen
dahinspinnt,
Daß sie kein Mensch mehr versteht, ist ein
modernes Genie.
Große und neue Gedanken in schlicht erhab'nem
Gewände,
Jedem Kinde verständlich, brachte die klassische
Zeit.
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* *
Epigonen von gestern — und schreiben uns
Zukunftsmusik,
Mög' uns ein Meister erstehn, der für die
Gegenwart wirkt!
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* -l-
Tiefes Gemüth und klarer Verstand und heiliger
Ernst,
Ballast scheint es euch jetzt, und die Nirwana
regiert.
Wühlt nur in Nonenakkorden und pessimistischem
Mißmuth,
Ach, zu heiterer Größe mangelt euch doch das
Gemüth!
Gustav Kastropp.
Aus alter und neuer Zeit.
Helius Eobanus Hessus. Der 6. Januar
ist ein Gedenktag in der hessischen Gelehrtengeschichte.
Vor vierhundert Jahren (1488) wurde an diesem
Tage in Hessen ein Dichter geboren, der für den
größten seiner Zeit galt, Helius Eobanus Hessus.
Nur schade, daß er nach der Sitte jener Zeit in
lateinischer, statt in deutscher Sprache dichtete. Sein
Geburtsort ist mit Bestimmtheit nicht anzugeben. Es
werden als solcher Bockendorf und Halgehausen bei
Frankenberg angeführt, er selbst nannte sich anfäng
lich auf den Titeln seiner Schriften Eobanus Hessus
EraneoborZius. Sein Vater, der ein Dienstmann
des nahen Cistercienserklosters Haina war, hieß
wahrscheinlich Koch. Den Namen „ßobcui“ hatte
er in der Taufe nach einem m Thüringen und
Hessen besonders verehrten Heiligen, einen angeblich
in Erfurt begrabenen Schüler des hl. Bonifatius,
erhalten. Dem „Eobanus" setzte er selbst später den
Namen des griechischen Sonnen- und Dichtergottes
vor und fügte als dritten Bestandtheil die Bezeichnung
seines Vaterlandes hinzu, und so entstand der Name
Holm« Eobanus Hessus. Der Abt Dietmar in
Haina nahm sich des geweckten Knaben an, bei ihm
lernte dieser das Buchstabiren. Hiernach kam Eobanus
nach Gemünden an der Wohra, wo ihn ein Ver
wandter, Johann Mebes, in der lateinischen Gram
matik unterrichtete. Von seinem 14. bis 16. Jahre
besuchte er zu Frankenberg die Schule des berühmten
Horlaeus. Hier knüpfte er mit einem anderen Zögling
der Schule, Euricius Cordus, gleichfalls einem Bauern
sohne aus dem benachbarten bei Wetter gelegenen Simts-
hausen, einem sehr talentvollen und strebsamen Knaben,
mit dem er nachmals um die Dichterpalme ringen
sollte, ein dauerndes Freundschaftsbündniß. Im
Herbste 1504 bezog Eoban die Hochschule zu Erfurt,
welche damals sich eines ausgezeichneten Rufes er
freute. Sie war eine Pflanzstätte des „Humanismus"
und Eobanus ward bald ein freudiger Anhänger des
selben. Rasch machte er sich durch gelungene
Dichtungen bekannt: er beschrieb die Auswanderung
der Studenten aus Anlaß der Pest im Jahre 1505,
einen Studentenkrawall des Jahres 1506, sang das
Lob der Universität und versuchte sich nacheinander
in Idyllen, Heroiden, epischen, elegischen und lyrischen
Gedichten aller Art. Sein hessischer Landsmann,
der Kanonikus Mutianus Rufus zu Gotha, rief ihm
den Vers zu:
Hesse puer, sacri gloria fontis eris.
(Hessischer Knabe, der Stolz wirst Du des heiligen
Quells),
der ihm sein Leben lang wie ein Orakel theuer blieb,
und in kurzer Zeit galt Eoban nicht allein in
Deutschland, sondern auch im Ausland für den ersten
unter den neueren Dichtern. „Wenn", so schreibt
David Friedrich Strauß in seinem Werke „Ulrich