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dieses Elends brechen wollte, sah Frau Hulda
kalt und gleichgültig darein, wartete sie doch nur
den Zeitpunkt ab, wo Daniel in einer gereizten
Stimmung, für sie mochte es sogar eine unzu
rechnungsfähige sein, eine Aeußerung thun würde,
welche dazu dienen konnte, Dora aus dem Hause
zu bringen. War diese erst beseitigt, glaubte sie
Daniel schon wieder in die früheren, immerhin
noch sehr regelmäßigen Geleise seines Daseins
zurückführen zu können, ohne jedenfalls die
Schwierigkeit dieser Aufgabe sich richtig veranschau
licht zu haben.
So waren zwei Monate hingegangen und die
Zeit nahte heran, in welcher Franz aus der Re
sidenz für immer nach Hause zurückkehren sollte.
Briefe hatten die Liebenden nicht zusammen ge
wechselt, da eine heimliche Korrespondenz dem
Sinne beider widersprach und eine offene Hand
lungsweise, wie bereits mitgetheilt, von ihnen
noch nicht eingeschlagen werden sollte, jedoch kam
kein Brief von Franz an seinen Vater an, in
welchem nicht gestanden hätte: „Herzlichste Grüße
an unsere liebe Dora, wie geht es ihr" u. s. w.,
welche Fragen Daniel auch auf das Gewissen
hafteste beantwortete, ebenso wie er Dora stets
von den Schreiben seines Sohnes, die regelmäßig
alle Sonntage anlangten, Einsicht nehmen ließ.
Da blieb eines Sonntags die gewohnheitsmäßige
Post aus der Residenz aus, Herr Daniel schüttelte
zwar zuerst mißmuthig den Kopf, als er unter
den eingetroffenen Briefschaften die Hand Franzens
vermißte, dann aber tröstete er sich mit dem laut
ausgesprochenen Gedanken: „Der Junge wird
eine fidele Nacht hinter sich gehabt haben und
gestern verkatert gewesen sein. Das lasse ich ihm
als Entschuldigung gelten." Als aber die ganze
Woche und auch der nächste Sonntagmorgen
vergangen war, ohne einen Brief von Franz zu
bringen, wandelte Schröder mit finster zusammen
gezogenen Augenbrauen umher und seine Hände
kamen nur selten aus den Taschen heraus, be
kanntlich ein Zeichen, daß der Fabrikherr sich
in einer sehr üblen Laune befand. Frau Hulda
kniff die Lippen zusammen und heuchelte Gleich
gültigkeit, obwohl es ihr doch nicht so recht wohl
um das Herz sein mochte, da ihr kaltes Gemüth
bei ihrem Einzigen selbstverständlich eine Aus
nahme machte. Wie es bei Schröders üblich war,
ging Frau Hulda, Tora und ein Theil des Dienst
personals, welches letztere darin abwechselte, all
sonntäglich in die Kirche, während Daniel diesen
Weg regelmäßig nur an den hohen Kirchenfesten
antrat, sonst aber zu Hause seine stille Stunde
hielt. Nachdem Hulda und ihre Pflegetochter
nach geschehenem Gottesdienst zurückgekehrt waren,
sie die Gesangbücher fein säuberlich in den Glas
schrank gelegt hatten, in welchem die Familien-
heiligthümer aufbewahrt wurden, unb Hüte-
Handschuhe und Umhänge ihre Ruheplätze wieder
gefunden, sah Herr Daniel sich in der eine gewisse
sonntägliche Atmosphäre athmenden Stube prüfend
um und wandte sich dann in einem feierlichen
Tone an Frau und Pflegekind.
„Wie Ihr beide wißt", sagte er, „habe ich seit
vierzehn Tagen keine Nachricht von unserm Franz
erhalten, welcher sonst in dieser Beziehung die
Pünktlichkeit und Accuratesse selbst ist, eine jener
lobenswerthen Eigenschaften, die er von mir,
seinem Vater, sich angeeignet hat. Aus vor
erwähntem Umstand erhellt, daß etwas nicht recht
richtig mit dem Jungen, mit unserm Franz wollte
ich sagen, sein muß, was ^mich und allen Ver
muthen nach, auch euch in einige Unruhe ver
setzen dürfte." Hier machte Schröder eine Pause
und ließ seine wasserblauen Aeuglein forschend
von Hulda zu Dora wandern. „Du meinst, daß
ich mich nur allem Vermuthen nach, um Franz
beunruhigen würde", hob, als der Redner inne
hielt, seine Ehehälfte an, „das ist nicht recht von dir,
ich, seine Mutter, sollte mich nur allem Vermuthen
nach um ihn ängstigen —
„Ja, das vermuthe ich, sogar stark vermuthe
ich das", erwiderte Daniel, mit mächtig an
wachsender Stimme, „denn ich traue dem Land
frieden nicht. Sagt's beide rund und nett heraus:
was wißt ihr von Franz?"
Frau Hulda sah ihren Mann, welcher mit
emporgezogenen Augenbrauen und drohend anf-
geblasenen Backen vor ihr stand, erstaunt an,
während Dora ihre Thränen nicht länger zurück
halten konnte.
„Ich weiß wirklich nicht, was deine Redens
arten bedeuten sollen", sagte Frau Schröder mit
der ihr eigenthümlichen Spitzigkeit. „Wenn ich
wüßte, was mit Franz vor wäre, würde ich es
dir wahrlich schon längst mitgetheilt haben."
„Oder auch nicht", haderte der richtende Daniel,
„wie es gerade in deinen Kram gepaßt hat. Ich
denke mir, daß bu dem Franz vielleicht einen
unangenehmen Brief geschrieben hast und er des
halb den Gekränkten spielt. Dora, heraus mit
der Sprache! Was weißt du von der Geschichte?"
Aber weder Frau noch Pflegetochter vermochten
irgend einen erfindlichen Grund anzugeben, aus
welchem Franz sich verletzt oder beleidigt fühlen
konnte und beide sprachen die lautere Wahrheit.
Auch in einem Kreuzverhör, welches Daniel in
der Folge abhielt, brachte er nichts heraus und
so mußte er nothgedrungen annehmen, daß er
sich auf einer falschen Fährte befunden habe.
„Dann ist nichts Andres denkbar", sagte er
schließlich, „als daß Franz krank ist. Ich werde
sofort an seinen Hauswirth telegraphiren."
(Schluß folgt.)
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