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Ruhepausen beit Weg bis iu meine Heimath
über Nordheim, Göttingeit und Witzenhausen, im
Ganzen neun Meilen, bis zum andern Abend
6 Uhr zurück. Es war der stärkste Fußmarsch,
den ich gemacht habe; aber ich war im Marschiren
geübt, gewöhnt Tornister, Gewehr und Munition
zu tragen, so war ein Marsch ohne Gepäck ein
ein wahres Vergnügen!
Wieder zu Hause! Die Stelle bei nieinem
Onkel in Kaufungen war besetzt, sonst hätte nicht
viel gefehlt, daß ich nach neun Monaten in dem
selben Ort wieder am Schreibtisch saß, an dem
ich das Schreiben verwünscht, dem ich zweimal
den Rücken gekehrt, um den sehnlichsten Wunsch
meines Herzens zu befriedigen, den Wunsch —
Soldat zu sein.
Warum war ich nun nicht Soldat geblieben?
Weil die andern es auch nicht geblieben waren.
Ich habe meinen jugendlichen Wankelmuth, meinen
Mangel an Selbstständigkeit noch theuer bezahlen
müssen!
Doch was der Mensch ernstlich
will, vermag er wohl zu erreichen.
Sv bin auch ich wieder Soldat geworden und in
die preußische Armee eingetreten, in der ich vierzig
Jahre dreien Königen gedient habe
Als mir unter Allerhöchster Anerkennung der
erbetene Abschied bewilligt, als mir von Vor
gesetzten, Kameraden und Untergebenen in herz
lichen Worten und sinnigen Erinnerungszeichen
Beweise ihrer Anhänglichkeit dargebracht wurden:
da regten sich mir im Herzen alle Gefühle auf's
lebhafteste, die den Soldaten ergreifen, wenn er
in Liebe seiner Dienstzeit gedenkt und das er
hebende Bewußtsein in ihm lebendig wird, diesem
durch Ehre, Treue und Pflichtgefühl geheiligten
Verbände angehört haben zu dürfen.
Die Freude, mich geliebt littb geachtet zu wissen,
mischte sich mit dem Schmerz, gezwungen zu sein,
durch überwiegende Neigung und lange Gewohn
heit lieb gewordene Verhältnisse aufgeben zu
müssen. Das alte Soldatenherz that mir weh!
Bald aber schien die Frühlingssvnne freundlich
durchs Fenster. Meine Gesundheit hatte sich
gekräftigt und der Blick auf die Berge lockte ins
Freie. Da faßte ich auch die andere Seite meiner
veränderten Lebensweise ins Auge und erinnerte
mich des Ausspruchs eines von mir hochgeschätzten
Kommandetirs: „Freiheit und zu leben, mehr
kann der Mensch nicht verlangen!" Ich fühlte
mit Befriedigung, daß mir nun Beides gewährt.
So zog ich denn hinaus lind freute mich am
Erwachen der Natur; ich war so heiter und froh,
als hätt' ich noch nie einen Frühling gesehen.
Und doch sah ich gar manchen Frühling. Die
Sonne geht für den Soldaten ebenso freundlich
auf, wie für andere Menschen, aber er ist seltener
in der Stimmung, sie freundlich zu begrüßen.
Wie sagte jener Oberst zu seinem Adjutanten,
mit dem er vor Tagesanbruch nach dem Exerzir-
platz ritt, um zur bevorstehenden Jnspizirung
alles selbst zu ordnen? Mürrisch und schweigsam
zog der Oberst seines Weges; langsam stiegen
die Pferde die Höhe hinan, auf welcher der Platz
lag. Da brach die Sonne hervor und warf ihre
goldenen Strahlen in das blühende Thal, durch
welches majestätisch der Strom dahinfloß. Und
der Adjutant, in dem freundlichem Bestreben, seinen
hohen Vorgesetzten zu erheitern, sagte: „Sehen
der Herr Oberst, wie herrlich die Sonne aufgeht!"
Und was sagte der Oberst zu seinem Adjutanten?
„Kommen Sie mir, mein Lieber, nicht immer
mit Ihren Privatangelegenheiten, wenn ich den
Kopf voll Dienst habe."
So versinken Himmel und Erde in ihr Nichts,
aus dem die Allmacht Gottes sie hervorrief, vor
der, mit den ernsten Sorgen des Dienstes be
lasteten Seele des Kriegers — am Tage der
Jnspizirung. Daher auch mein freudiges Ent
zücken, da mir weder Jnspizirungen, noch Schieß
übungen bevorstanden, noch Bemerkungen über
gänzlich verfehlte Manöverideen, schlaflose Nächte
mehr bereiten würden.
Nur zu oft habe ich das äußere Leben durch
den Schleier dienstlicher Sorge erblickt, aber mancher
Strahl der Freude hat auch diesen Schleier zerrissen
und ist mir tief in die Seele gedrungen . . .
. . . . Als Preußen nach fünfzig Friedens
jahren das Schwert zum Kampfe zog, stand ich
nicht mehr in den Reihen seines Heeres.
Aber mein Soldatenherz hat sich an den Siegen
erfreut, die preußische Waffen in Schleswig und
auf Böhmens Schlachtfeldern errungen und die
neue Lorbeern an Preußens alte, ruhmreiche
Fahnen knüpften.
Mit dreiundsiebenzig Jahren begeisterte ich
mich an dem beispiellosen Siegeslauf deutscher
Heere, die in den Kampf wider den Feind ge
zogen, der einstmals auch in meine junge Hand
die Waffe gedrückt! Ich durfte jene Siege erleben,
die an Glanz und Ruhm neben den herrlichsten
der Geschichte stehen und welche die Vergeltung ge
währten, die als ein Erbe der Väter auf unsere
Söhne gekommen war.
Wie brav und treu haben sie dieses Erbes
gewaltet!
Und nun behüt Gott, mach einig und stark
unser liebes, theures Vaterland!