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sich stets auf dem Wochenmarkt einfand, um Be
kanntschaft mit den Gemüsefrauen zu machen; da
bei besorgte er kleine Einkäufe und trug solche
in einem roth baumwollenen Taschentuche nach
Hause. Ebenso, wie er sich die Gunst der Ge
müsefrauen erwarb, nahmen auch die Trödlerinnen
sein Interesse in Anspruch, auf allen Auktionen
sah man ihn in ihrer Mitte. Man fragte wohl.
ob die Schwester gar keinen Einfluß auf ihn aus
zuüben im Stande sei, es muß aber nicht mög
lich gewesen sein, obgleich Beide in größter Ein
tracht neben einander lebten. In den Abendge
sellschaften nahm Baron Karl sich sehr zusammen,
schien sich aber nicht recht wohl dabei zu
fühlen.
In erster Zeit wohnte er bei der Schwester, doch
konnte er es in den beengenden Räumen der
Stadt nicht lange aushalten, er kaufte bei Roteu-
ditmold einen Garten mit einem kleinen Haus,
welches er alsbald allein bezog. In diesem
romantisch gelegenen Berggarten gab er eines
Tages einigen Bekannten seiner Schwester ein
ländliches Fest. Bei ihrer Ankunft wurden die
Gäste mit Kaffee bewirthet, wozu er eigenhändig
Kartoffelpfannkuchen gebacken hatte. Diesen Pfann
kuchen folgten noch andere Gerichte, die aber
jeder Beschreibung spotten. Bei alledem war es
ein heiteres Fest und die schönen reifen Stachel
beeren machten vieles gut. Seine Wohnung
hatte Herr von Mettingh nach altegyptischer
Weise eingerichtet, wo damals Menschen und
Thiere sich in ein und demselben Raum befanden.
Auch auf seinem Bett stolzirte ein Hahn mit
mehreren Hühnern herum und neben dem Schlaf
gemach vernahm man das melodische Grunzen
eines kleinen Schweines.
Jahre kamen und gingen und wie hinieden
nichts festen Bestand hat, änderte sich auch
Manches in den Verhältnissen und der Lebens
weise der Mettingh'schen Geschwister. Hatte die
Sichel des Todes schon verschiedene Personen
aus dem trauten Bekanntenkreis hinweggemäht,
so war es auch Fräulein von Mettingh selbst,
welche sich mehr und mehr von allem geselligen
Verkehr zurück zog und einem stillen Trübsinn
anheim fiel, was dem Bruder großen Kummer
verursachte. Er überlegte, was wvhl zur Er
heiterung der geliebten Schwester beitragen könnte
und kam zu dem Entschluß, sein kleines Grund
stück wieder zu verkaufen, wozu sich gerade eine
vortheilhafte Gelegenheit darbot und einen
Garten mit einem größeren Haus zu erwerben,
damit sie wieder zusammen wohnen könnten.
Auch hoffte er, daß frische Luft, Blumen, Sonne
und Vogelgesang wohlthätig auf das verstimmte
Gemüth der Leidenden einwirken könnten. Sie
theilte diese Hoffnung und konnte nun kaum er
warten, bis die neue Wohnung in Stand gesetzt
war. Die Wahl dieses Grundstücks war aber
eigentlich keine günstige zu nennen, da dasselbe
sehr einsam an der Mombach, in der Nähe des
Friedhofs lag. Der Garten selbst hatte manches
Anziehende, Blumen in Menge, viele Obstbäume
und eine duftende Fliederlaube, auch das Haus
bot zur gemeinsamen Wohnung hinlänglichen
Raum. Beim Nahen des Frühlings schien sich
Philippine wirklich geistig und körperlich zu er
holen, sie fand wieder Freude am Lesen, nahm
Handarbeiten vor, beschäftigte sich im Garten,
auch fanden alte Bekannte, die zum Besuch vor
sprachen, freundliche Aufnahme.
Eine große Unvorsichtigkeit hatte Herr von
Mettingh dadurch begangen, daß er in der abge
legenen Wohnung keinen Diener, nicht einmal
einen Hund anschaffte; diese Unvorsichtigkeit
sollte leider die traurigsten Folgen nach sich
ziehen.
Es mochte ein Jahr verflossen sein, seitdem
die Geschwister das neue Heim bezogen hatten,
als eines Tages der Bruder sich wie schon oft,
auf ein Stundenpaar entfernte. Bei seiner
Rückkehr sah und hörte er zu seinem Befremden
keine Spur von der Schwester, die ihm sonst
immer entgegen kam. Welches Entsetzen aber
erfaßte ihn, als er in ihrem Zimmer den Schreib
tisch und eine Kommode erbrochen fand, von ihr
aber noch immer keine Spur entdecken konnte.
In Todesangst durcheilte er das ganze Haus
und fand sie endlich im Keller eingeschlossen, be
wußtlos zusammen gesunken. Er trug sie auf
ihr Bett, holte so rasch als möglich einen Arzt
herbei und es gelang endlich sie wieder in das
Leben zurück zu rufen, auch das Bewußtsein
kehrte wieder und sie gab an, daß wild aussehende
Männer eingedrungen wären, ihr einen Schlag
auf den Kopf versetzt und sie alsdann in den
Keller geschleift hätten. Die Bösewichter wurden
später ermittelt und zur verdienten Strafe ge
zogen, die arme Schriftstellerin aber konnte sich
von diesem Schreckniß nie mehr erholen.
Auf den Wunsch des Arztes bezog sie wieder
in der Stadt eine freundliche Wohnung vor der
„Katlenburg", im Hause des Goldarbeiter Kaupert,
und der Bruder verschrieb eine entfernte Verwandte
zu ihrer Pflege, diese aber soll ihr Amt mehr
als schlecht und gewissenlos verwaltet haben,
nachdem sie sich zuvor zur Erbin hatte einsetzen
lassen. Sie schloß die hilflose Kranke von jedem
Verkehr ab und ließ außer dem Bruder keinen
Menschen mehr zu ihr. —
Es sind gerade im Mürz achtundzwanzig
Jahre geworden, als der Tod, der einzige Erretter,