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auszeichneten, so daß, als einst die Marie Stuart
gelesen wurde, ein fremder, anwesender Schau
spieler meinte, eine solche Leistung in einem
Dilettanten-Kreis sei etwas ganz Außergewöhn
liches und für ihn unfaßbar.
Das waren die angenehmen, unvergeßlichen
Abendgesellschaften bei Philippine von Mettingh.
Alle diese Männer und Frauen, die einst mit
warmen Herzen dem Ideal zugestrebt, sie sind,
mit wenigen Ausnahmen, hinübergegangen, ihr
irdisches Theil ruht in stiller Grabesnacht, wohin
der wildfluthende, heiße Lebensstrom nicht mehr
dringt. Wir, die noch Lebenden, können nur noch
die Erinnerung an sie, besonders an die liebens
würdige Schriftstellerin wachrufen und so eine
kleine Blume auf den eingesunkenen Todtenhügel
pflanzen. —
Philippine von Mettingh war die einzige
Tochter des fürstlich Anhalt-Bernburgischen
Geheimen Rathes, Baron von Mettingh. Derselbe
hatte seine Gattin früh verloren und übertrug
alle Zärtlichkeit auf die Tochter, die ihm lieber
gewesen zu sein scheint, als der Sohn Karl,
dessen Erziehung etwas vernachlässigt wurde.
Philippinens Charakter bekam unter des Vaters
Leitung eine ernste, fast strenge Richtung und
eine unglückliche Jugendliebe nahm den warmen,
heiteren Sonnenschein aus ihrem Leben. Nicht
Untreue, auch nicht der Tod hatte diesen Herzens
bund getrennt; der Mann, den Philippine liebte,
war katholischer Priester und so ihren Wünschen
unerreichbar. Wie diese Liebe begonnen, und
ob der Gegenstand derselben schon durch die
letzten Weihen gebunden, oder später von Um
ständen gedrängt, einen Stand wählen mußte,
der das Glück der Liebe ausschließt, vermag ich
nicht zu sagen. Hinzufügen kann ich aber, daß
jener Geistliche später zu hoher Würde gelangt
und auf einen der ersten Bischofssitze Deutschlands
erhoben worden ist.
Philippine hat ihre erste, einzige Liebe niemals
vergessen; es ist in späterer Zeit, als sie schon
in Kassel wohnte vorgekommen, daß ein zufälliger
Besuch die Einsame mit thränenfeuchten Augen
beim Lesen alter Briefe angetroffen hat, weh
müthig einen Ring mit einem kleinen weißen
Hund betrachend. Zwar hatte sie sich einige
Jahre später, als ihr Liebesfrühling verblüht
war, auf den innigen Wunsch des Vaters, der
sie nicht schutzlos in der Welt zurück lassen
wollte, entschlossen, einem jungen Arzt ihre Hand
zu reichen, der ein treuer Freund ihres Hauses
war, ihr auch in schwerer Krankheit durch Ge
schicklichkeit und sorgsame Pflege das Leben ge
rettet hatte. Dieses Verhältniß trennte kurz
vor der Hochzeit der Tod; die verwaiste Braut
beklagte den Freund, betrachtete es aber als Er
lösung, daß sie nun von den Ketten der Ehe,
wie sie sich ausdrückte, auf immer befreit war.
Einen Heirathsantrag des Schriftstellers Krug
von Nidda wies sie mit Entschiedenheit zurück.
Kurze Zeit darauf starb der Vater; sie stand
allein, da ihr Bruder ein kleines ihnen zugehöriges
Gut selbst verwaltete, wohin sie mit ihrem regen Geist
sich nicht zurückziehen wollte. Ihre Vaterstadt
Bernburg hatte allen Reiz für sie verloren und
sie faßte den Entschluß, nach Kassel zu ziehen.
Kassel hat früher eine besondere Anziehungskraft
für tiefere Gemüther gehabt; ein eigener poetischer
Hauch schwebte gleichsam über dieser, in besonderer
Obhut der heiligen Elisabeth stehenden Stadt,
wofür jetzt freilich Niemand mehr ein Verständ
niß haben kann.
Hier nun fand auch die einsame Schriftstellerin
eine neue und bleibende Heimath. Ihr Glück,
vielmehr ihre Zufriedenheit fand sie in ihrem
schriftstellerischen Beruf und ernsten wissenschaft
lichen Studien, besonders zog sie das Studium
der Geschichte an, dem sie mit großem Eifer oblag.
Ihre meisten Schriften sind historische Novellen;
mit gewissenhafter Treue sind die Begebenheiten ge
schildert, aber ein ernster, oft finsterer Geist
weht durch sie hin. Meist sind sie Geschichts
epochen entnommen, wo Thränen der Verzweiflung
sich mit rauchenden Trümmerhaufen und Strömen
Blutes gemischt haben. Die krassesten Scenen
sind stets mit haarsträubender Genauigkeit ge
schildert, nur fehlt oft ein versöhnendes Element.
Liebesscenen schilderte sie ungenügend, hingegen
wurde vvn der Kritik ihr umfassendes Wissen,
ihr knapper, männlicher Stil hochanerkannt und
gerühmt.
Bei solchen Beschäftigungen schwand rasch die
Zeit, am Abend suchte sie Gesellschaft auf, sie
hatte sich in kurzer Zeit viele liebe Bekannte
erworben, auch liebte sie den Besuch des Theaters,
namentlich sah sie gern Trauerspiele.
Mit den Jahren wurde ihr endlich doch das
einsame Leben peinlich, deshalb beredete sie ihren
Bruder, an dem sie trotz aller Verschiedenheit
mit großer Liebe hing, das Gut zu verkaufen
und auch nach Kassel zu ziehen. Alle Bekannten
waren auf den Bruder der geistreichen Schrift
stellerin gespannt, der auch wirklich bald erschien,
aber weder in seinem Aeußern, noch im Umgang
an die Schwester erinnerte. Ich sage nicht, daß
Baron Karl häßlich oder dumm war, im Gegen
theil manches richtige Urtheil kam über seine
Lippen, dabei besaß er eine unendliche Gut-
müthigkeit, war aber vollständig verbauert.
In früheren Zeiten hat es in Kassel manche
originelle Menschen gegeben; aber wohl keinen
adligen Gutsbesitzer, welcher in nachlässiger
Kleidung, mit gruben nägelbeschlagenen Schuhen