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ertrage zur Geschichte des Ktäötchens Wiebenstein unb ber
Mmilie Keß v. Wichborff.^
Von Ernst W o I f g a n g Hetz v. Wichborff.
I. Einleitung.
Mie folgenden Berichte bewegen sich auf elafsi-
Wt fchem Boden, denn die Stadt Niedenstein
, mit ihrer Umgebung gehört jenem Gehiete
an, welches die Wiege unserer tapferen Alt
vordern, der berühmten Chatten, war, jenes selbst
von ihren Feinden, den Römern, geachtetsten,
wenn auch gefürchtetsten deutschen Volkes, dem
Tacitus in seiner Geschichte den schönsten Ehren-
Denkstein gesetzt hat.
Es geziemt sich daher, dieser glorreichen Ver
gangenheit auch hier zu gedenken, und an sie die
Aufzeichnungen anzuknüpfen, welchen diese Schrift
gewidmet ist.
Das Thalbecken, in welchem sich die Gewässer
der Fulda, Eder, Schwalm, Elbe, Ems und Efze
vereinigen, war der Ursitz des Chattenvolkes.
Hier befand sich auf dem Gudensberge (Wodans
berge) das Nativnal-Heiligthum, der Sitz ihrer
Priesterfürsten und das an seinem Fuße liegende
Dorf Maden (Mattium) war der Haupt-Ver
sammlungsort des Volkes und blieb es auch noch
in der Zeit, als die Chatten ihre Macht bis an
den Rhein und Main einerseits und bis tief in's
Thüringerland, bis auf den Harz und die Unter
weser ausgedehnt hatten. Ein unumstößlicher
Beweis für diese politische Bedeutung der Oert-
lichkeit liegt in der Thatsache, daß als der rö
mische Feldherr Germanicus im Jahre 15 nach
Christo einen unerwartet schnell ausgeführten
Kriegszug gegen die Chatten unternahm, er den
selben gegen Mattium, den Hauptort des Volkes
richtete und, da er letzteres unvorbereitet fand,
den Uebergang über die Eder bei Möllrich er
zwang, Mattium einnahm und sammt dem Priester
sitze auf dem Wodansberge zerstörte. Der chat-
*) Alle Rechte vorbehalten.
Motto:
Wohl dem, der seiner Väter gern gedenkt!
(Goethe.)
tischeObcrpriesterLibys wurde gefangen genommen
und bei des Germanicus Triumphzug in Rom
zu dessen Verherrlichung mit aufgeführt.
Das Zerstörte wurde jedoch von den Chatten,
nachdem sie sich für diesen Ucberfall blutig genug
gerächt, bald wieder hergestellt lind Mattium
sammt dem heiligen Wodansberge fuhr fort, noch
Jahrhunderte hindurch der politische und religiöse
Mittelpunkt der Nation zu sein. Es blieb auch
bis in das frühe Mittelalter hinein der Haupt
ort und die oberste Gerichtsstütte des Hessenlandes
und dieses führte bis in spätere Zeiten (noch im
XI. Jahrhundert) ehe es eine Landgrafschaft
wurde, den Namen der Grafschaft Maden. —
Zu seinem Schutze waren von den Chatten eine
Reihe von Vorwerken angelegt, welche sich um
die Stätte des Heiligthums herzogen. Wir
können noch heute aus den Namen der nahe
vorliegenden urchattischen Orte: W e h r e n, W er k e l,
Ober- und Nieder-Vorschütz auf die Lage
dieser Vorwerke schließen. An sie reihten sich
noch andere Schutzwerke. Die Alten bürg und
die Burg Felsberg an der Eder — wenn
auch damals noch nicht die Steinbauten tragend,
welche das spätere Mittelalter auf diesen Punkten
aufführte und deren Ruinen noch in unsere
Gegenwart hineinragen — waren ohne Zweifel
auch zur Chattenzeit schon befestigte Vertheidigungs
plätze. Ferner darf man die alte Focken bürg ober
halb Wehren, den Wartberg bei Gleichen und
die Altenburg oberhalb Niedenstein nebst der
alten Landwehr, welche sich in der Nähe
von Niedenstein am Emsenberge- und unter der
letztgenannten Altenburg hinzieht, mit hoher
Wahrscheinlichkeit als zu gleichem Zwecke er
richtete Vorwerke ansehen. Diese Gegend war
ohne Zweifel schon in frühchattischcr Zeit stark
bevölkert. Die Kriegermassen, welche die Chatten
aufstellten, lassen überhaupt auf einen reichen