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kenne das Mädchen von Kindesbeinen an und
weiß, was daran ist, bringt mir der Junge aber
vielleicht so eine Mamsell aus der Residenz in's
Haus, so hält der Satan damit wohl gar seinen
Einzug und mit der Gemüthlichkeit ist es ganz
Matthäi am Letzten. Ich weiß ja zwar nicht,
was der Patron für Absichten hat, aber eine
bessere Ehehälfte, wie die Dora, kann er unter
allen Umständen nicht bekommen, dabei bleibe ich."
Nach und nach hatte der Bann sich von den
drei Damen gelöst und Frau Hulda, ihre Tasse
niedersetzend, sagte mit kreideweißen und vor
Erregung zitternden Lippen, obgleich sie sich be
mühte, durch ein mitleidiges Lächeln ihren Aerger
zu verbergen: „Laß doch diese Scherze, Daniel!
Wenn das Mädchen zufälligerweise eines deiner
Worte auffangen sollte, könnte etwas Schönes
daraus entstehen. Es ist nur gut, daß wir
unter uns sind, denn, nicht wahr, meine Damen,
ich darf mich doch darauf verlassen, daß Sie
reinen Mund halten — ?"
Eben wollten die also feierlich Beschworenen
mit großer Bereitwilligkeit die Versicherung ab
geben, daß sie über diesen delikaten Punkt selbst
verständlich stumm wie die Fische sein würden,
obgleich die Frau Hauptzollamtskontroleurin sich
schon innerlich freute, die erste zu sein,
diesen angehenden Familienkonflikt im Schröder-
schen Hause den sämmtlichen Frau Basen des
Städtchens, jeder einzelnen natürlich unter dem
Siegel der tiefsten Verschwiegenheit, mittheilen zu
können, — eben sollten also diese Versicherungen
abgegeben werden, als Franz und Dora in die
Stube traten, gleichsam als eine Illustration zu
dem vorhergegangenen Gespräch. Fröhlich in die
Hände klatschend rief Herr Daniel aus: „Da
haben wir's, wenn man den Fuchs nennt, kommt
er gerennt!" während Frau Hulda noch blasser
wurde und die beiden anderen Damen sich ver-
ständnißvolle Blicke zuwarfen und sich darauf
gefaßt machten, daß nun eine ganz außerordent
liche Familienscene erfolgen sollte, wie sie auf
dem Theater nicht besser aufgeführt werden
konnte, denn alle Rollen bis auf sie selbst, welche
das Publikum repräsentirten, waren ja ans das
Beste vertheilt, aber sie sollten sich trotzdem getäuscht
haben. Franz setzte sich neben seinen Vater,
Dora verließ das Zimmer kurz nach ihrem Ein
tritt wieder, um dem Dienstpersonal noch noth
wendige Anordnungen für den morgenden Tag
zu geben und von den Anwesenden sprach zuletzt
nur noch der alte Schröder allein. Sein Gedanken
gang hatte indessen eine andere Wendung ge
nommen und drehte sich nunmehr um die Wein
stuben und Restaurants der Residenz, wobei der
auch in den culinarischen Genüssen sehr bewan
derte Papa sich nicht wenig ärgerte, daß der
Sohn der Zubereitung der Speisen, wie sie auf
die Wirthschaftstafeln gelangen, nicht das erfor
derliche Interesse zugewendet zu haben schien, da
er weder von einer neu erfundenen Sauce, noch
von einer Entdeckung auf dem Gebiete der
Ragouts zu berichten wußte. Als die beiden
Freundinnen der Frau Hulda merkten, daß die
letztere an diesem Abend das interessante Thema
beruhen ließ und zu keinem weiteren Angriff
überging, empfahlen sie sich, als der Nachtwächter
seinen ersten Ruf erschallen ließ. Auch nach dem
Abgang der fremden Personen ereignete sich in
dem Schröder'schen Hause nichts Besonderes,
Frau Hulda zog sich im höchsten Grade ver
stimmt in ihr Schlafzimmer zurück und Franz
mußte zu guter Letzt mit seinem Vater noch
einige Partien Sechsundsechszig spielen, welche
er zum großen Gaudiuni Daniels sämmtlich
verlor.
Am andern Tage kehrte Franz in die Residenz
zurück, ohne daß zwischen ihm und seinen Eltern
irgend eine Auseinandersetzung über sein Ver
hältniß zu Dora erfolgt wäre. Er hatte den
Entschluß gefaßt, die Sache nicht eher zum Aus
trag zu bringen, als bis nach der im Herbst er
folgenden Beendigung seiner Studien, wo er
alsdann mit einer gewissen Selbstständigkeit auf
treten konnte. Dora, welcher er seine Absicht
mitgetheilt, hatte wehmüthig das blonde Köpfchen
dazu geschüttelt, denn sie hielt es für eine Un
möglichkeit, daß Franz seine Absicht durchzusetzen
vermöge, freilich dachte sie nur an die Härte der
Frau Hulda und berücksichtigte nicht die wohl
wollende Gemüthsart des Herrn Daniel, welcher
seine Pflegetochter weit mehr schätzte, als er es
sich ihr gegenüber merken ließ. Wie sehr sie
dem alten Herrn an das Herz gewachsen war,
sollte Dora jedoch einige Tage nach Franzens
Abreise erfahren. Hulda hatte nach jenem Thee
gespräch die Ueberzeugung gewonnen, daß es die
höchste Zeit sei, das Mädchen aus dem Hause
zu bringen, wollte sie nicht sich selbst den Vor
wurf machen, eine ihr für die Dauer immer
unliebsamere Person immer festeren Fuß in ihrer
Familie fassen zu lassen. Aus diesem Grunde
ging sie mit dem Plane um, Dora in eine ent
fernte Provinzialstadt zu ihrer, Huldas, ledigen
Schwester zu schicken, welche, von gebrechlichem
Körper, einer Pflegerin bedürftig war. Sie
schrieb an dieselbe und veranlaßte sie, mit wen
dender Post die Anfrage an ihren Schwager,
Herrn Daniel, zu richten, ob er ihr keine ge
eignete Persönlichkeit zu ihrer Stütze empfehlen
könne. Wie Hulda vorausgesehen, so geschah es,
ihr Eheherr suchte sie nach Empfang des Briefes
auf, um über den Inhalt desselben mit ihr
Rücksprache zu nehmen.