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studierende Jugend Deutschlands anzogen und
dessen Wnndcrstadt Venedig damals ans dem
Gipfel ihrer Macht und ihres Glanzes stand.
Rom, Neapel und Venedig wurden besucht. In
Bologna und Padua lies; sich der junge Graf
unter die Zahl der Studierenden aufnehmen. Wir
besitzen noch einen von ihm von Padua datirten
Brief, worin er sich die Schlichtung von Streitig'
leiten, welche in seiner Abwesenheit unter den
Geistlichen der Hanauer Stadtkirche entstanden
waren, für seine Rückkehr vorbehielt. Nach drei
jähriger Abwesenheit kehrte er zum Manne gereift,
mit einem reichen Schatz von Kenntnissen und
Erfahrungen, die er auf seinen Reisen gesammelt
hatte, über Genf nach Hause zurück.
Erst zwanzigjährig trat er alsbald die bisher
von einer Vormundschaft geführte Regierung an
und vermählte sich noch in demselben Jahr, am
22. Oktober 1596, mit Katharina Belgika, der
Tochter des großen Oraniers Wilhelin 1. von
Nassau, einer ihm an Geist und Thatkraft voll
kommen ebenbürtigen Lebensgefährtin, der es
nach dein frühen Tode ihres Mannes beschieden
war, unter den furchtbaren Stürmen des dreißig
jährigen Krieges das Schiff des kleinen Staats
durch gefährliche Klippen hindurch zu lenken.
Das erste Werk des jungen Regenten war
die Einführung der rcformirten Lehre in den
ihm untergebenen Landen durch die Berufung
der Superintendenten Jodokus Raum von Siegen.
Mögen wir über diesen Schritt urtheilen, wie
wir wollen, mögen wir die zweite Reformation
Hanaus für berechtigt oder unberechtigt ansehen,
je nachdem wir die erste Einführung der evangelischen
Lehre in den Hanauer Landen als eine mehr
reformirte oder lutherische bezeichnen, so können
und müssen wir doch das zur Rechtfertigung
Philipp Ludwigs sagen, daß er cs seinem Gewissen
gegenüber wie Landgraf Moriz von Hessen für
seine Pflicht hielt, die Lehre, der er selbst an
gehörte und die er für die richtige hielt, auch in
seinem Lande einzuführen.
Philipp Ludwig wollte, wie er erklärte, die
Kirche der Grafschaft „von den Ucberbleibseln
des Papstthums" reinigen. Deßhalb ließ er
aus allen Kirchen die noch vorhandenen Bilder,
Kruzifixe und Altäre entfernen und letztere durch
mit einem schwarzen Tuch behangene Tische er
setzen. Am Mittwoch vor Psalmsonntag 1596
wurde in Hochstadt der Anfang damit gemacht.
Mit den Pfarrern wurde in aller Sanftmuth
verhandelt. Die Folge davon war die, daß nur
Wenige sich der Einführung der rcformirten Ge- i
bräuche widersetzten. Unter diesen waren der
Pfarrer Piftorius von Marköbel und der Pfarrer
Korvinus von Windccken. Philipp verhandelte
mit ihnen persönlich auf der Kanzlei ant 27. Januar
1596 und zwar so, daß sie sich bedankten, daß
sie so gnädig behandelt und mit ihnen in diesen
Sachen so freundlich und bescheidentlich ver
fahren worden sei. Pistorins ging nach Augs
burg, Korvinus wandte sich nach Frankfurt a. M.
wo er eine Pfarrstelle fand.
Jedoch ging es bei dem Volke nicht ganz ohne
Widerstand ab. I» Windecken gab es gelegent
lich der Abschiedspredigt des Korvinus Unruhen.
In Kesselstadt und Eschersheim wurden die zur
rcformirten Lehre übergetretenen Pfarrer insultirt.
Es läßt sich denken, daß viele Gemeindeglieder
sich durch die Entfernung der Bilder, durch die
Abschaffung der Hostien u. s. w. in ihren religiösen
j Gefühlen verletzt fühlten, zumal die auf den
Kanzeln damals übliche Polemik gegen Anders'
gläubige sich nicht der feinsten Ausdrücke be
diente. Und so kamen den auch von reformirter
Seite Rohheiten vor, für die wir natürlich Philipp
Ludwig nicht verantwortlich machen können. Zu
einem Schullehrer, der in einem Bäckerhaus in
der Metzgergasse in die Kost ging, sagten seine
Tischgenossen, als er einmal zu spät kam mit
Bezug auf die bisher üblichen Hostien: Wenn
Du eher gekommen wärst, so hättest Dn einen
gebackenen Herrgott essen können. Und der Rektor
der Schlüchterner Klostcrschule schob rille von den
ans der Kirche entfernten hölzernen Apostelfiguren
mit den Worten in den Ofen: Komm her Jüdchen,
wärm dich!
Doch gehn wir von diesem unerquicklichen
Thema zu einem zweiten Stück der Thätigkeit
unseres Philipp Ludwig über, nämlich zur
Gründung der Neustadt Hanau.
Ilm ihres Glaubens willen aus dem Vaterlande
vertriebene Wallonen und Niederländer hatten
im Jahre 1555 nach längerem Umherirren endlich
in Frankfurt ein Asyl gefunden. Sie waren
vom Rath bereitwillig aufgenommen worden und
durften auch in der ihnen zu diesem Zweck ein
geräumten Weißfrauenkirche ihren Gottesdienst
abhalten, bis die lutherische Geistlichkeit merkte,
daß die Fremdlinge nicht in allen Stücken mit
ihrem Glauben übereinstiinmten und bis die
Bürgerschaft gewahr wurde, daß die mit Geld
und kaufmännischer Intelligenz wohl ausgerüsteten
Einwanderer den erbgesessenen Altbürgern in jeder
Art von Geschäften eine empfindliche Konkurrenz
machten. In einer zur Vertheidigung des Senats
gegen den Vorwurf der religiösen Unduldsamkeit
abgefaßten Schrift aus dein vorigen Jahrhundert
wird ausdrücklich gesagt: „Wem ist nicht unbe
kannt, daß die bestgelegenen Häuser, Läden und