42
Goeckingk herausgegebenen Musenalmanach, in dem
Göttinger Musenalmanach und vielen anderen Zeit
schriften und Taschenbüchern. In den beiden erstge
nannten Almanachen bediente sie sich nach Redlich's Ver- •
such eines Chiffernlexikons der Pseudonyme „Tuliane -
S.", „Karoline" und „Rosalia".
Zeigt Philippine Engelhard in ihren Gedichten auch
weniger einen hohen Schwung der Phantasie und j
feurige Empfindung, so sprechen dieselben doch durch
das kindliche Gefühl, welches in ihnen zum Ausdrucke !
gelangt, ungemein an. Es ist die Sprache unge- ,
gezwungener Offenheit und yeiterer Laune, welche i
uns hier eutgegentritt. Sie selbst machte in ihrer j
Bescheidenheit nicht einmal Anspruch auf Kunst, sie
wollte durch einfache, zwanglose Natur rühren, wie '
sie es bildlich in den bereits in Nr. 1 unserer Zeit
schrift mitgetheilten Gedichte „Wie ich zur Dichtkunst *
kam" mit den Worten ausdrückt: »
Durch dichten geschnitzten Taxus bricht
Nie weder Sonnen-, noch Mondenlicht:
Da durch den Baum, der kunstlos blüht
Die sinkende Sonne malerisch glüht
Und silbern der Mond durch die Zweige blinkt,
Wenn Abends die Flur vom Thaue trinkt.
Daß Philippine Engelhard eine hessische, eine deutsche
Patriotin war, wie sie denn auch niemals, selbst während
der französischen Usurpation unter König Jerome,
nicht, wie dies soviel andere thaten, ihre deutsche Ge
sinnung verleugnete, das geht auch aus dem Gedichte
„An Kurfürst Wilhelm zu Hessen, am Tage der
angenommenen Kurwürde, am 15. Mai 1803", und
aus der Schrift „Ueber den Einzug in Paris und
Napoleons Flucht und Entthronung, zum Besten der
Angehörigen armer hessischer Soldaten, hervor. —
Nach dem am 27. Januar 1819 erfolgten Tode ,
ihres Gatten, suchte und fand sie, wie bereits er- i
wähnt, Trost in der Dichtkunst. Manches schöne .
Gedicht entfloß in jener Zeit noch ihrer Feder, von
ganz besonderer Bedeutung ist aber ihre Uebersetzung
der „Chansons de Berangev“, die 1830 hier in
Kassel bei P. I. Bohne erschienen ist. Es war dies .
eine der ersten deutschen Uebersetznngen des gefeiertsten
Bolksdichters Frankreichs, dessen Lieder im Munde der
Hohen wie der Niederen seiner Nation lebten, die
gesungen wurden in Palästen wie in Hütten. Goethe*)
sagte von ihm: „Er ist der Sohn armer Eltern, der
Abkömmling eines armen Schneiders, dann armer
Buchdruckerlehrling, dann mit kleinem Gehalt angestellt
in irgend einem Büreau, er hat nie eine gelehrte *
Schule, nie eine Universität besucht, und doch sind
seine Lieder so voll reifer Bildung, so voll Grazie,
so voll Geist und feinster Ironie und von einer solchen *
Kunstvollendung und meisterhaften Behandlung der
Sprache, daß er nicht blos die Bewunderung von !
Frankreich, sondern des ganzen gebildeten Europa ist!"
Und bei einer anderen Gelegenheit äußerte sich Goethe
nach Eckermann über den größten der Chansonniers .
Frankreichs: „Beranger ist eine durchaus glücklich
begabte Natur, fest in sich selber begründet, rein aus
*) S. Gespräche mit Goethe in den letzten Iabren seines Lebens.
Bon I. P. Eckermann. i
sich selber entwickelt und durchaus mit sich selber in
Harmonie. Er hat nie gefragt: Was ist au der Zeit?
was wirkt? was gefällt? und was machen die anderen?
damit er es ihnen nachmache. Er hat immer nur
aus dem Kern seiner eigenenen Persönlichkeit heraus
gewirkt, ohne sich zu bekümmern, was das Publikum,
oder was diese oder jene Partei erwarte." In
diesem Sinne mag denn wohl auch eine geistige Wahl
verwandtschaft zwischen Philippine Engelhard und
Beranger bestehen und es ist erklärlich, daß unsere Dichterin
sich von den Liedern Wranger's ganz besonders angezogen
fühlte. Sie selbst schreibt in dem Vorwort zu ihrer
Uebersetzung: Einzelne Lieder von Beranger erschienen
kürzlich in Zeitschriften, frei übersetzt. Auch eines
von Müllner und ein Vers aus den „Zigeunern."
Er spöttelte selbst über die Fehler derselben und er
klärte: dies Lied sei zu schwer, es zu übersetzen.
Dies lockte mich, es zu wagen, und so kam ich auf
den Einfall, mehrere zu übersetzen. Aber wie einem
schönen talentvollen Knaben, den ein feiner Zirkel kennen
lernen will, den sein Muthwille aber eben in Pfützen und
Dornbüschen herumtrieb, die Mutier erst Haare und Kleid
ordnen, Hände und Gesicht säubern muß, und wie sie die
schmutzigen Spielzeuge und die Armbrust mit dem unheil
bringenden spitzigen Bolzen ihm entreißt — und ihn dann
einführt, und er alles entzückt durch seinen Geist und Witz
(ein wenig Schelmerei muß ihm bleiben, sonst wäre
er nicht er selbst), so mußte ich alte Dichterin mit
Herrn von Beranger verfahren. Und so erlaubten
Änstand und Rücksicht, ihn der gesitteten deutschen
Lesewelt darzustellen." Und Philippine Engelhard
hat Wort gehalten. Verfängliche Lieder wie Na
grau dauere, la Baccliante n. s. w. haben keine Auf
nahme in ihrer Sammlung gefunden. Ueber die
Uebersetzung selbst sagt sie in der Vorrede: „Man
wird finden, daß wo es nur möglich war, alles fast
wörtlich und doch leicht übersetzt ist." Auch das ist
zutreffend, wie sich die Leser leicht aus dem Gedichte
„Ma voeation“, welches wir nachstehend im französischen
Texte und in der Uebersetzung der Philippine Engel
hard folgen lassen, überzeugen kann:
lila voeation.
j'etais stur cette boule
Laid, ehetif et souffrant;
Etouffe dans ]a foule,
Faute d’§tre assez grand;
Une plainte touchante
De ma boucbe sortit:
Le bon Dieu me dit: Cliante,
Chante, pauvre petit!
Le cliar de Topulenee
M^clabousse en passant;
J’6prouve l’insolence
Du riebe et du puissant;
De leur morguc tranehante
Rien ne nous garantit.
Le bon Dieu me dit: Chante
Chante, pauvre petit!
D’une vie incertaine
Ayant eu de l’effroi
Je rampe sous la chaine
Du plus modique emploi