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gesehen — schon einmal in schwerer L-bens-
stunde . . .
Er riß die Augen weit auf und richtete sie
die Straße entlang bis wo sich die Däuser enger
und enger aneinander drängten und die Menschen
noch in so spä'er Stunde hastiger, von Arbeit
getrieben, aneinander vorüber eilten.
Die großen Schornsteine der Fabriken dort
erschienen ihm Gespenster, die seinen Schritten
folgten und seine Qual erhöhten. ,
Er zählte an den Fingern die Jahre ab, die !
ihr seitdem verstrichen waren — lange, einsame j
Menschenjahre — vielleicht in der engen Gasse
dort, über deren düstere Dächer kaum ein er
wärmender Sonnenstrahl drang.
Was war aus ihr und dem elenden Kinde
geworden, das damals ihre Arme in verzweifelter
Liebe umklammert hielten?
Während er in bequemem Wohlleben im Reiche
der Geister geforscht und segensreiche Stunden
durchlebt — hatte sie vielleicht gedarbt?
Er beflügelte seine Schritte, es drängte ihn
vorwärts bis in die enge Straße hinein, in
welcher der schwarze Rauch der Schornsteine
seinen verpesteten Athem ergoß.
Er achtete nicht der Menschen, die an ihm
vorübergingen, er wußte jetzt, daß dort an der
Ecke, ganz am Ende, das Haus sein mußte, aus
.welchem er damals so schweren Herzens ge
schritten war — —
Da, gerade da, wo jetzt die große, schlanke
Gestalt vor der verschlossenen Thüre stand, um
zu öffnen.
Er trat näher; sein Herz jagte wild in der
Brust.
Aus einem blassen, unvergessenen Gesicht sahen
zwei Augen starr in die seinen.
„Hans, Du?"
Er vermochte nichts zu sagen, das Wort starb
aus seinen Lippen. Seine Hand deutete nur auf
das Riesengebäude da, in dem in dumpfem
Brausen sich die Räder wälzten.
„Ja, dort, Hans", sagte Eva, die ihn ver
stand, „dort".
„Und Dein Kind?"
„Todt!"
„Und dort hast Du gearbeitet, Eva, alle die
Jahre, und hast es ertragen?"
„Ich mußte wohl, es war mein Schicksal.
Abe. ich dachte dabei an Dich, Hans, daß Du
eines Tages kommen würdest und daß ich Dir
dann sagen könne, daß ich es jetzt wisse, wie
das Glück keine Gemeinschaft habe mit Glanz
und Reichthum, — wie es auch hier in der
Gasse liegen könne, — dort zwischen den Schorn
steinen, wenn ei» schmaler Sonnenstrahl über
das Pflaster huscht und die Steine vergoldet —
in einer Erinnerung — einem Traume —
einer Thräne. — — — — — — —
„Eva, liebe Eva." —
Sie wich zurück, schüttelte den Kopf und sah
mit ihren tiefen Augen ernst und lange in sein
Gesicht.
War es nicht doch vielleicht nur eine verblaßte
Erinnerung — Mitleid, was ihn zu ihr getrieben?
Ihre Lippen zuckten und in ihren Augen
loderte ein seltsamer Glanz.
Almosen? Die konnte sie auch heute nicht
yehmen — heute noch weniger als damals.
Hans Huber sah in ihr edles, durchgeistigtes
Gesicht und wußte nicht, was in ihr vorging.
Wenn sie ihn noch einmal von sich stieß?
Er wandte sich ab.'
Eva bemerkte, wie sich seine Brust hob und
die Schultern bebten. Ein jäher Sonnenstrahl
zuckte dnrch ihr Herz, licht und golden, als könne
er allen erstickten Blüthen wieder Duft und
Leben geben — — „Das Bewußtsein seiner
Liebe."
Sie trat an ihn heran, legte ihre Hand sanft
— so wie es ihre Art in glücklicher Zeit ge
wesen — auf seine Schulter und sagte weich,
mit einer Stimme, wie er sie niemals gehört:
„Hans".
„Eva!"
„Hans laß mich Dein Weib sein!"
Hans Huber hielt sie an seinem Herzen.
Ueber ihren Häuptern zuckte kein flimmerndes
Licht, wie über der Dornenkrone des Erlösers,
aber durch die feinen Wolken hatte sich jetzt der
Mond gedrängt und übergoß sie mit stillem
Glanze. —
Hans Huber blieb den nächsten Tag und auch
noch die folgenden. Dann übergab er seine
Braut dem Schutze Bernhard's und dessen Frau,
um sie sich bald für immer in sein Haus zu
holen.