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lindes. Ueberall riecht's nach Bratäpfeln, frischem
Kuchen und Tannenharz; Nüsse klappern in den
Körben der Leute, denen es spät erst gelang,
Feierabend zu machen, und die nun heimkehren
vom Christmarkt. Manches arbeitsharte, falten
reiche Gesicht glättet sich zu einem glücklichen
Lächeln, und Jeder, der heute nur etwas zu ver
schenken hat, und sei es ein Gegenstand aus der
„Fünfgroschenbude", dünkt sich ein kleiner Krösus,
fühlt sich doppels wichtig, fast geehrt durch die
Mission, zu irgend Jemand die Freudenbotschaft
von seiner Liebe zu tragen. Das Gloria zittert
in der Lust — denn unser Herrgott feiert Seinen
höchsten Festtag, den Tag der Neugeburt der
christlichen Liebe, an dem Er blühen sieht, was
oft das Jahr hindurch so still und verdorrt stand
in der Menschenbrust. Nun springen die Knos
pen, nun sproßt aus kaltem Boden die Weih
nachtsrose.
Der Stern von Bethlehem ist aufgegangen;
die Hirten, die Könige und die Weisen folgen
seinem Strahl. Wieder zeigt sich Gott als Kind
auf Seiner Mutter Arm, lächelnd, holdselig, die
Arme ausbreitend nach Allen — nach den Kindern
Seiner Gnade und nach den dunkeln Seelen der
Heiden. Unwiderstehlich in Seiner süßen kind
lichen Barmherzigkeit, zwingt er zu Seinen Füßen
die Wegmüden, Starren und Kalten. Er läßt
die Menschen nicht los, wie sie auch aus Seiner
Nähe sich entfernt haben; er weiß sie zu finden,
und zuweilen unbewußt feiern sie Seines Namens
Herrlichkeit. Mit göttlicher Erleuchtung naht Er
den Aermsten und Reichsten und segnet, feuert
an, zwingt zur That. Die Gabe des Aermsten
aber ist die größte; zu den Niedrigsten beugt sich
das göttliche Kind am tiefsten herab. Wenn Es
dort Sein Licht brennen sieht, wie erdenerwärmend
wird Sein Lächeln!
Nicht in Schnee und Eis, beinahe frühlings
artig kam in diesem Jahre der heilige Abend,
und wie im Lenz drängte sich aus den engen
Wohnungen das Leben auf die Straße.
Auf der Treppe des dreistöckigen Hauses, das
schmal wie ein Handtuch zwischen den breitspurigen
Gefährten hing, über dessen gewölbter, eisenbe
schlagener, von Rauch und Zeit geschwärzter Thüre
noch die Jahreszahl 1643 in den Balken gegraben
war, saß ein Häuflein flachsköpfiger kleiner Bürger
dicht an einander gedrängt.
Da war die Trine des Schusters, eine hand
feste, entschiedene kleine Person, welcher der blonde
Zopf stets eigensinnig vom Kopfe wegstarrte, der
die Locken und Löckchen trotz aller mütterlichen
Pommade wild um die Stirne flatterten. Sie
hielt ihr zweijähriges Schwesterchen, das Joseph-
chen, auf dem Schooße. Das rosige, posaunen
engelhaste Josephchen mit den schiefen Beinchen
war eigentlich ein Schreihals erster Klasse. Heute
aber war's zufrieden, von der Stimmung des
Abends ergriffen. Es liebäugelte mit den grell
roth bekleideten Füßchen und balancirte das bunt
gestickte „Pätschchen" auf der großen Zehe, hin
und her. Neben Trine saß Handschuhmachers
Julchen, beinahe zitternd in der Aufregung der
Erwartung. Ihr schloffen sich Bäckers Karlchen
und Fritzchen an. Fritzchen trug ein großes,
gelbes Taschentuch über dem Kopfe, mit zwei
Zipfeln geknotet, weil er Zahnweh hatte. Nun
aber überwog die Freude des Harrens und Bangens,
die gewaltige Spannung des Gemüthes den
körperlichen Schmerz; er kauerte da mit leuchten
den Augen und halb offenem Munde, regungs
los. Alle, wie sie da zusammensaßen, warteten
auf die Schelle, welche sie zur Christbescheerung
rufen sollte.
„Ich möchte wissen, was ich krieg'," seufzte
Julchen.
„Ein goldenes »Nichtschen« und ein silbernes
»Wart' ein Weilchen«", entgegnete das bereits
schulpflichtige Karlchen.
„Mach' jetzt keine Flausen; 's Christkind hörts."
„Ich hab' das Christkind gesehen!" rief Trine
eifrig. „Just vor ein paar Minuten, als ich in
der Bodenluke stand, flog's in einer schneeweißen
Wolke über die Stadt hin. Hu — so schnell!
Gewiß wollte es noch ein Mal sehen, ob auch
kein Kind löge, oder schnuckte, oder sein Brüderchen
kratzte."
„Und ich," meinte Fritzchen, der noch nicht volle
vier Jahre alt war und sich das „däddeln" nicht
abgewöhnen konnte, „ich hab dem Christkind zu
gehört. Es will dem Karlchen eine große Peitsche
bringen und ein »Huschepferd«, wenn's nicht mehr
am Daumen lutscht, hat's zur Mama gesagt.
Gestern Abend war's als ich schon im Bettchen
lag."
„Du hast ja den Daumen im Munde, Fritzchen!"
mahnte Trine. Der kleine Sünder zog ein schiefes
Mäulchen und besah reuevoll den rothen, fetten
Finger, der sich immer wieder zwischen die weißen
Zähnchen verirrte.
Karlchen hatte auch seine Hoffnung im Betreff
dessen, was das Christkind bringen sollte. Er
träumte von einem Bücherranzen mit grünem
Lederdeckel und von einem Federkasten, auf dem
die sämmtlichen Gestirne des deutschen patriotischen
Himmels auf goldenem Grunde gemalt sein
sollten.
Das zwischerte durcheinander, als sei ein Nest
voll junger Zaunkönige ausgeflogen. Die Er
regung stieg von Secunde zu Secunde, und da
sie auf ihrem Höhepunkt angelangt war, machte
sie Karlchen so tollkühn, daß er sich an das
väterliche Ladenbrett im Erdgeschoß schlich, wo