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|u0 engem Wal.
Rovellelte v. M. Herberk.
(Schluß.)
An dem ganzen Tage sprach der Hannes kein
Wort, was vollständig gegen seine Gewohnheit
war. Er saß nachdenklich da und zuweilen fiel der
Leisten aus seiner Hand polternd auf die Dielen.
Die Hammerschläge, mit denen er das Leder auf
seinem Knie dünn klopfte, kamen in langen Zwischen
pausen. „Für mich wär's nit gewesen, einen
Stein auf sie zu werfen!" sagte er zu sich, „für
mich nit! Denn die Steine, die Einer auf Einen
wirft, den er 'mal lieb gehabt, die fallen nit ab,
die bohren sich durch Haut und Rippen in's
Herz. Für mich wär's nit gewesen!" Gegen
Abend stülpte er die Mütze auf und ging aus:
Als er spät heimkehrte, trug er einen ver
wickelten Gegenstand und einen verdeckten Korb.
Beide Dinge verschloß er geheimnisvoll in den
Keller. Kathrinlies ließ sich nicht wieder in der
engen Gaffe blicken; lieber wollte sie keinen letzten
Abschied von der Leiche ihres Kindes nehmen, hätte
sie den Hannes wiedergesehn, sie wäre zusammen
gebrochen. Sie hatte nur Geld geschickt und ein
WeißesKleidchen, welches ihr die Herrschaft zum
Bahrschmuck des kleinen Todten geschenkt. Freilich
zog die Alte dem Kinde das Kleid nicht'an; sie
schloß es heimlich in ihre Truhe. Auch zum
Begräbniß kam die Mutter nicht, — der Pfarrer
ging voran und dicht hinter dem Sarge schritt
als einziges Ehrengeleit der Hannes, — eine
komische Figur in seinem hohen, beinahe fuchs
roten Cylinderhut und dem Fracke mit den
langen spitzen Schößen, den bereirs der Groß-.
Vater selig zur Hochzeit getragen. Der kleine Zug
ging durch die Stadt nach dem mauerumgebenen
Friedhofe. Hier und dort sammelten sich einige
Neugierige, und einmal glaubte Hannes in der
Ferne an einer Straßenecke ein geputztes Mäd
chen mit einem Kinde auf dem Arm zu sehen;
er konnte sich aber getäuscht haben.
Endlich ruhte der Sarg mit dem Keim eines
Menschenlebens, das zur Hoffnung berechtigt,
um Schmerze befähigt gewesen, sechs Schuhe
ief in der Erde. Die schweren Schollen fielen
dröhnend auf den kleinen Deckel. Dann wölbte der
Todtengräber den kleinen Hügel, welcher eine
Weile noch eine Erhöhung bilden würde, um dann
vom Winde und den Fußtritten achtlos darüber
Hinschreitender dem Erdboden gleich gemacht zu
werden. Die Sonne beleuchtete die groben,
schwarzen Erdbällen, welche der Spaten empor-
geschürselt, und ringsum über den hundertjährigen,
grauen Grabsteinen an der Mauer, wie auf den
frischen — hie und da noch blumengeschmückten
Gräbern lag Schweigen. Die Dämmerung kam
und die Nacht. In der Nacht schlich Kathrinlies
sich leise aus dem Hause ihrer Dienstherrschaft
durch die menschenleeren mondhellen Straßen nach
dem Todtenhofe. Wo Niemand sie sehen konnte,
in der Dunkelheit und Stille, wollte sie zu ihrem
Kinde gehen und den wilden, reuigen Schmerz
noch einmal austoben und ausweinen. Sie ging
durch die Reihen der Gräber nach der Stelle,
wo man die armen Kinder hinlegt. Da plötz
lich fiel ihr ein, daß sie ja nicht wußte, an wel
chem Platz man ihr Kind gebettet. Mitten im
Schreiten sank sie in die Knie und begann zu
schluchzen. Da sah sie auf einem der neuen
Gräber eine Gestalt sich regen, — es pflanzte
Jemand ein Kreuz auf einen blumenbedeckten
Hügel. Das konnte Niemand sein als der Toten
gräber, der sicher wußte, wo ihres Kindes letzte
Ruhestatt war. Zagen Schrittes kam sie näher,
der Mondschein fiel hell auf das weiße Kreuz,
welches der kniende Mann in den Boden zu
rammen versuchte. Leserlich und klar hoben sich
von dem lichten Grunde die Worte:
„Karl, — Sohn der Katharina Elisabeth
Tiel." und darunter: „Gott ist barmherzig und
gnädig."
So hatte sich's der Hannes ausgedacht. Ka
thrinlies wußte kaum, wie ihr geschah, — stumm,
regungslos stand sie da, immer die Augen auf
das Kreuz gerichtet. Nun hob der Mann das
Gesicht und sie erkannte den Schuster. Alte Treu
kommt wieder, wie kräftige Grundfarbe hält sie
im Menschenleben, wenn man die Flecken von
Schmach und Irrthum wegwischt, erscheint sie in
alter Frische.
Das Mädchen kam langsam näher; sie zitterte
und bebte: als sie sagte:
„Ich will dir's in meinem Leben nit vergessen,
Hannes, was du für eine arme Sünderin thust.
Und wenn du meinst, daß der liebe Gott meine
Gebete noch anhört, dann will ich nicht ablaffen
für dich zu beten — Tag und Nacht. Für mich
ist ja doch alles hin, keine Ehr, keine Freud',
keine Hoffnung mehr in der Welt." Der Hannes
aber nahm die Hände der Kathrinlies. „Reue
kommt nimmer zu spat, Kathrinlies. — Im
Herzen hab' ichs nit verwinden können, was du
mir und dir gethan hast."