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ländischen Thor und der Mensing'sche vor dem
Weserthor waren solche Vergnügungslokale, welche
vorzugsweise von den bürgerlichen Familien be
sucht wurden, während der Henkel'sche Garten
vor dem Königsthor und die Restauration in der
Karlsaue der Sammelplatz der vornehmen Welt
waren. Von allen diesen ist nur die letztere, aber in
sehr veränderter Gestalt, noch jetzt vorhanden.
Unter den mächtigen, nun auch schon seit einigen
Jahren der Zeit zum Opfer gefallenen, Tannen
bäumen wurde der meistens von den Familien
mitgebrachte und in der Restauration gekochte
Kaffee oder Thee getrunken. An Stelle des jetzt
wenig Beifall findenden Restaurationsgebäudes
stand ein einfaches, aber geschmackvolles Haus und
der Raum zwischen diesem und den Tannen enthielt
schöne mit Blumenanlagen verzierte Rasenplätze.
Bier wurde in der Restauration nicht verschenkt
und hatte die ganze Anlage noch ein vornehmeres
und bester mit der Umgebung stimmendes Gepräge
als es jetzt der Fall ist.
Es war dies damals auch noch das einzige
öffentliche Vergnügungslokal, in welchem musika
lische Genüffe geboten wurden. Vom 1. Pfingst-
tage an concertirten hier an einem dafür be
stimmten Wochentage abwechselnd auf Allerhöchsten
Befehl, ohne Eintrittsgeld nehmen zu dürfen,
die vortrefflichen Musikkorps der Kasseler Gar
nison. An anderen Orten durften diese nicht
spielen und andere dazu geeignete Musikkorps
gab es vor Errichtung der Bürgergarde im Jahre
1830 nicht. Am 1. Pfingsttage herrschte hier
auch damals schon ein sehr reges Leben durch
die zahlreich zu dem Pfingstfest hierherkommenden
Fremden, unter denen sich namentlich eine große
Anzahl Göttinger Studenten bemerklich machten.
An sonstigen Tagen, namentlich an den Wochen
tagen war der Besuch ein geringer, da es in den
nicht zur baut« volee gehörigen Kreisen noch nicht
üblich war, außer Sonntags öffentliche Vergnüg
ungsorte zu besuchen. Für uns Kinder war es
gerade kein großes Vergnügen, dort oder im
Henkelschen Garten im Sonntagsstaat ruhig
sitzen zu müssen, wir und alle Kinder, die in
gleicher Lage waren, zogen es vor, im eigenen
Garten die Freiheit zu genießen. Wir trösteten
uns damit, daß das Vergnügen ein frühes Ende
nahm, da es noch nicht Sitte war, Kinder bis
spät in die Nacht in öffentliche Lokale mitzu
nehmen. Auch der Besuch von Wilhelmshöhe
fand selbst an den Sonntagen in den meisten
Familien nur selten statt und in der Regel nur,
wenn Besuch von auswärtigen Freunden oder
Verwandten dazu Veranlassung gab. Der
Besuch von Wilhelmshöhe war außer anr 2.
Pfingst- und Himmelfahrtstag namentlich seit
dem im Jahre 1823 an den Kurfürsten gelangten
Drohbrief ein sehr beschränkter geworden, da Ein
heimische und Fremde sich nicht gern den in Folge
davon zur Sicherheit des Kurfürsten angeordneten
sehr strengen militairischen und polizeilichen Maß
regeln unterwerfen mochten. Der Kurfürst welcher
durchAnlegung des neuenWasserfalls,Verschönerung
der Anlagen, Erbauung des neuen Gasthauses und
Wachtgebäudes so viel zur Verschönerung der
Wilhelmshöhe beigetragen hat, fühlte sich durch
diesen geringen Besuch sehr unangenehm berührt
und glaubte den Grund in der allerdings sehr
mangelhaften Fahrgelegenheit zu finden. Er
erließ deshalb im Jahre 1827 den Befehl an
die Polizei, dafür zu sorgen, daß an dem Wil
helmshöher Thore an Sonn- und Festtagen
Wagen zur Beförderung gegen einen billigen
Fahrpreis bereit ständen. Mehrere Jahre hin
durch war dies denn auch der Fall und dort
ein Sitz im Wagen zum Hinauffahren für 5 Sgr.
zu haben.
Bei einem Vergleiche der damals den Familien
ebotenen Gelegenheit zu Vergnügungen außer
em Hause mit der der jetzigen Zeit tritt
nun weiter ein gar gewaltiger Unterschied
hervor, wenn wir noch einen Blick auf die
damals zu geselligen Zwecken bestimmt gewesenen
Vereine werfen. Während es deren jetzt mehrere
hundert geben soll, waren es damals eigentlich
nur drei, welche solche Zwecke mit Einschluß
ihrer Damen verfolgten. Es waren dies der
Abendverein, das Civilkasino und die Euterpe,
von denen sich nur die letztere noch erhalten hat.
Außerdem bestand noch das ausschließlich für
Männer bestimmte Militairkasino. Die Gesell
schaft Lese-Museum ist erst im Jahre 1831 ge
gründet worden.
Die Physiognomie der Stadt, wie sie sich
unter den hier geschilderten Verhältniffen durch
das in ihr herrschende Leben und Treiben zu
erkennen gab, mußte abgesehen von allen anderen
später für dieselbe so bedeutsam gewordenen
Veränderungen ein von der jetzigen sehr ver
schiedenes Gepräge tragen.
Unser schönes Kassel hat zu verschiedenen
Zeiten, namentlich unter der Regierung des
letzten Kurfürsten, das Schicksal gehabt, daß die
öffentlichen und socialen Zustände in derselben von
Correspondenten auswärtiger Blätter in sehr ge
hässiger Weise geschildert und insbesondere von
den Witzblättern zum Gegenstand ihres Spottes
gemacht wurden, ein Umstand, dessen nachtheilige
Folgen sich trotz aller so anerkennenswerthen Be
strebungen zur Beseitigung früherer Vorurtheile
zuweilen auch jetzt noch bemerklich machen.
Auch unserem berühmten Landsmanne Franz
Dingelstedt kann der Vorwurf nicht erspart
bleiben, daß er im Jahre 1836 in der von An-