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Dieser war ein alter, harter und stolzer Mann,
seine Tochter ein Musterbild der Sanftmuth und
des Edelsinnes. Hermann von Riedesel und
Margaretha von Röhrenfurt lernten sich kennen,
beide schienen von der Natur für einander be
stimmt zu sein, sie liebten sich; der Landgraf be
merkte ihre gegenseitige Neigung mit Wohlgefallen
und wünschte seinen Freund glücklich zu sehen.
Anders dachte der Vater Margarethens. Un
beugsam und gefühllos gegen die Thrünen seiner
Tochter, hatte er für dieselbe einen Bräutigam
aus einem reicheren und mächtigeren Hause be
stimmt. Riedesel bot alles auf, den Vater für
sich zu gewinnen, auch der Landgraf verwendete
sich warm für die LiebeUden, umsonst, der Alte
blieb unerbittlich. „Die reiche Erbin meiner
Güter," pflegte er zu sagen, „soll nicht die Beute
eines leichten Abenteurers sein." Es sollte anders
kommen.
Einst befand sich Hermann von Riedesel in
einem dichten Walde auf der Jagd. Plötzlich
hörte er Hilferufe. Seiner Ritterpflicht eingedenk,
folgt er diesem Rufe, um dem Nothleidenden
beizustehen. Wenige Schritte — und er erblickt
den Vater seiner Geliebten von Räubern nieder
geworfen, in der äußersten Gefahr, ermordet zu
werden. Rasch zieht er sein Schwert, stürzt sich
auf die Räuber, haut tapfer auf sie ein und der
zitternde Greis ist gerettet. „Unbekannter Mann,
sprach der Erbmarschall, „heische von mir, und
kein Lohn wird mir zu groß sein, um dir deine
Biederthat zu vergelten!" Er hatte seinen Retter
nicht erkannt, denn dieser war geharnischt und
hatte sein Haupt mit dem Helm umschlossen.
„Meine Bitte ist kühn," erwiderte der junge
Ritter, „aber du wirst sie mir nicht versagen.
Ich bitte dich um die Hand deiner Tochter!" —
„Du sollst sie haben", sprach der Greis, „so du
anders von edlem Blute bist." „Das bin ich",
versetzte Riedesel, öffnete den Helm und warf sich
dem staunenden Röhrenfurt in die offenen
Arme. Dieser hielt sein Wort und beide
eilten nun zu dem Hoflager des Landgrafen
zurück und brachten Margaretha die freudige
Kunde, daß alle ihre Wünsche erfüllt seien.*)
— Hermann von Riedesel erhielt (1429) die
Anwartschaft auf das Erbmarschallamt, das ihm
auch nach dem Tode des letzten Röhrenfurt
zu Theil wurde. Er ist der Begründer des
Ansehens und des Reichthums der Familie Riedesel,
bei welcher von nun an das hessische Erbmarschall
amt verblieb. Hermann von Riedesel starb am
31. Juli 1463 in hohem Alter, seine Gattin
Margaretha war ihm acht Jahre früher 1455
im Tode vorausgegangen.
*) Wir find hier Justi gefolgt, da uns die Schildening
G. v. Günderode's doch allzu romantisch erschien.
>g folgt.)
-*-*-*■
Aus einem Waffeler Kürgerhause vor 68 Fahren.
Von W. Dogge-Ludwig.
(Schluß.)
Wenn ich es nun versuchen will, die Lebens
weise der Kasseler Bürger, namentlich der besier
fituirten dieser Zeit, wie sie fich auch in unserem
Hause gestaltete, aus meiner Erinnerung zu
schildern, so wird sich im Vergleich zur Jetztzeit
ein sehr erheblicher Unterschied in Beziehung auf
das Leben im Hause, noch mehr aber auf das
Leben außerhalb desselben ergeben; und dieser
wesentlich darin zu finden sein, daß die für
letzteres in weit geringerem Grade gemachten
Ausgaben den Familienvätern eine weit größere
Fürsorge für die Angehörigen im Hause ge
statteten. Dabei war man aber von dem jetzt
überall fich geltend machenden Aufwand in Aus
stattung der Wohnungen noch weit entfernt.
Eine große Verschiedenheit von der jetzigen Zeit
zeigte fich zunächst in der besseren Herrichtung
des Mittags- und Abendtisches, an welchen bei
den Kaufleuten immer die noch ausnahmslos im
Hause des Principals wohnenden Gehülfen und
Lehrlinge und bei den Handwerkern auch die
Dienstboten theilnahmen. Der große Vorzug
der damaligen Zeit bestand darin, daß es bei den
Familienvätern noch nicht so wie jetzt allgemein
üblich war, am Abend ein Vergnügen außer dem
Hause aufzusuchen und zum Biere zu gehen. Dabei
ist allerdings nicht zu verkennen, daß zu dieser
Enthaltsamkeit die wenig Verführung bietende
Beschaffenheit des damals hier gebrauten Bieres
und der damit in Verbindung stehende Mangel