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hinsterben konnten. „Zu verwaren manichfeltig-
lich seümnis vnnd Gebrechlichkeit GottesDinstes,
mancherley vngeburligkeit, Kost vnnd schaden, die
vnnsern Burgern vnnd Jnwonern, von Labunge an
geystlich gerichte vnnd Banne gescheen sein vnnd
teglich gescheen vnnd furter vfferstehen wuchten,
wie solchs zum besten nicht vorkummen wurde,
Sein wir (Landgraf Ludwig) mit Bürgermeister
vnnd Rath zu Cassel eintrechtiglich vnnd einmut
tiglich zu Rathe worden vnnd überkommen, Das
auch vnnsern Burgern vnnd Jnwonern wol be-
quemlich ist. eine vffrichtige Ordnunge zu machen,
darmit Gottesdinste mag gemehrt, wir, vnnser
Bürger vnnd Jnwoner In eynigkeit vnnd Fridde
zesatzt werden vnnd darin pleiben mügen, vnnd
al auch solche Ordenunge nu angehen vnnd
urter pleiben wheren vnnd gehalten werden, bey
,enen vnnd buffen daruff gesatzt sein" — so
«ginnen diese Statuten, welche ihrer Wichtigkeit
wegen dem versammelten Volke unter dem Ge
läute der Glocken „vor dem Wein-Keller vff der
trappen" verkündet wurden. (S. K. PH. Kopp's
ältere und neuere Verfassung der geistlichen und
Civilgerichte in den fürstlich hessen-kasselschen
Landen, Kassel 1769. Bd.I, Beil. 13, S.29 sqq.)
Kein Laie, so gebot Landgraf Ludwig unter
Androhung schwerer Geldstrafe, soll einen andern
vor ein geistliches Gericht laden und keiner seine
eigene Sache einem solchen Gerichte übergeben.
Kein Kleriker soll einen Laien in weltlichen
Sachen vor ein geistliches Gericht ziehen, die
Geistlichen sollen selbst ihre weltlichen Sachen
nur bei einem weltlichen Gerichte aburtheilen
lasten. Dagegen war Landgraf Ludwig auch
darauf bedacht, den geistlichen Stand in seinen
Rechten zu schützen: wenn ein Bürger oder Ein
wohner von Kassel „zu Banne" kommt, so soll
er von Stund an die Stadt räumen und mcht
ohne erlangte Absolution zurückkehren. Damit
aber die Geistlichkeit nicht zu weit greife, so
sollen zuvor Schultheiß und Rath erkennen, daß
der Gebannte mit Fug und Recht im Banne
sei. Sehen sie aber, daß dem Gebannten Unrecht
geschehen ist, so sollen sie den Verfolgten in
Schutz nehmen und ihm zu seinem Recht beständig
sein. Auch befiehlt Ludwig, daß Niemand Lade
oder Bannbriefe nach Kastei bringe, er übergebe
sie denn dem Pfarrer auf dem Predigtstuhle
(vor versammelter Gemeinde) und nirgends an
ders. Auch die Fremden schützte Ludwig in
ihrem Rechte. Er verordnete, daß ihnen in
Prozeßsachen eine schnelle Entscheidung zu Theil
werde. Im „Gastgericht" soll die Klage eines
Fremden über erbliche Güter innerhalb dreimal
vierzehn Tagen, die Klage über Schuld innerhalb
drei Tagen entschieden sein.
Am 14. April 1455 erließ sodann Landgraf
Ludwig eine Gerichts- und Polizeiordnung *),
welche u. a. Verbote enthielten gegen das Würfel
spiel um Geld und Geldeswerth, gegen das
Ausgehen bei Nachtzeit ohne „Wisch" (brennenden
Strohwisch) oder „Lüchte" (Laterne), nachdem die
Glocke geläutet hatte (Abends 8 oder 9 Uhr),
um „Mord und Todschlag" zu verhindern, denn
damals saß bei den Bürgern die Waffe lose in
der Scherbe. Streng waren die auf diese Ver
gehen gesetzten Strafen. So war das Würfel
spiel nicht, allein bei Geldstrafe, sondern auch bei
vierwöchiger Verbannung aus der Stadt ver
boten ; ohne Laterne bei Nachtzeit zu gehen, oder
über die „Weinglocke" hinaus im Wirthshause
Gäste zu halten, oder als Gast zu sitzen, kostete
drei Pfund Heller (60 Schillinge), wer aber des
Abends ohne Licht „in unziemlichen Sachen mit
Werfen oder Rufen die Leute zu erferen (er
schrecken) und zu necken, den Leuten ihre Fenster,
Thore und Feste zu schlagen oder Wagen umzu
werfen funden wird", der soll nicht allein die
höchste Geldstrafe zahlen, sondern auch vier
Wochen aus der Stadt gewiesen, und, kehrt er
innerhalb dieses Termins zurück, vier Wochen in
Hast gesetzt werden. —
In unserm vorigen Artikel haben wir bereits
erwähnt, daß gleich nach Ludwig's Thronbesteigung
den hessischen Städten ihre alten Freiheiten be
stätigt wurden. Unter den Räthen des jungen
Landgrafen befand sich auch, wie gemeldet, der
Erbmarschall von Röhrenfurt. Zwischen der
Tochter desselben und dem Junker von Riedesel
entspann sich der Sage nach ein Liebesverhältniß,
welches des poetischen Reizes nicht entbehrt und
von Romanschriftstellern mehrfach benutzt worden
ist. Auch F. I. von Günderode in seiner Schrift:
„Ludwig der Friedsame" (Frankfurt a. M. 1784)
und K. W. Justi in seinen „Hessischen Denk
würdigkeiten" (Bd. IV, Marburg 1805) gedenken
dieser Sage. Möge es uns gestattet sein, dieselbe
hier als Episode einzuschalten.
Junker Hermann von Riedesel lebte am Hofe des
Landgrafen Ludwig. Hervorragend durch geistige wie
durch körperliche Vorzüge, unerschrocken im Streite,
ein erfahrener Kriegsmann, nicht minder weise im
Rath, bescheiden und angenehm in seinen Manieren,
ersteute er sich der Gunst, ja der Freundschaft
seines Fürsten. Krieger und junge Mädchen
blickten ihn gleich gefällig an, jene fürchteten ihn
als Gegner und fochten gern mit und unter ihm,
diese wetteiferten um die Ehre, ihn zum Ritter zu
haben. Zu den schönsten Damen Kastel's, zu den
Zierden ihres Geschlechtes, zählte Margaretha, die
einzige Tochter des Erbmarschalls von Röhrenfurt.
*) S. Sammlung sürstl. hessischer Landesordnungen,
1. Theil S. 10 flg.