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Denn solche Lieder besiinft'gen
Den Puls, der so fiebernd geht,
Und ähnlich find fie dem Segen,
Der folget ans das Gebet.
Dann lies ans dein Schatze des Buches
Ein Lied mir nach Deiner Wahl,
Und leihe dem Reime des Dichters
Der schönen Stimme Schall.
Und Musik wird die Nacht erfüllen,
Und des Tages Sorge so reg',
Gleich dem Araber falte» die Zelte
Und leise schleichen hinweg.
Es liegt in der Natur der Sache, daß sich
in diesen Uebersetzungen das eigentliche
Gemüthsleben und innerste Wesen Sophie's von
Gilsa nicht scharf und hervorstechend zu erkennen
giebt, doch gilt grade von ihr das Dichterwort:
„daß zehnfach größer sie als ihre Lieder!" —
Die herzgewinnende Freundlichkeit, die über ihre
ganze Persönlichkeit ausgegofsen war, leuchtete
nur hervor aus der außerordentlichen und
seltenen Güte des Herzens, welche allen Be
dürftigen, die ihr nahe kamen, zu helfen suchte.
Was sie an Honorar für ihre literarischen Ar
beiten erwarb, das wurde freudig und mit größter
Zartheit unbemittelten Studirenden zugewendet;
ja, ihr großartiges Wohlthun war so schranken
los, daß sie sich selbst oft Verlegenheiten dadurch
bereitete, und ihre ältere Schwester, die zur
Würde einer Aebtissin aufgestiegen war, versuchen
mußte, in dieser Beziehung allzu weitgehenden
Ausschreitungen Grenzen zu ziehen. Doch Sophie
von Gilsa war eine ganz und gar dem Idealen
zugewendete Natur, und da sie nicht dachte, wie
Jedermann denkt, um mit Shakespeare zu reden,
so kann es uns auch nicht befremden, daß sie
nicht immer in voller Harmonie mit ihrer Um
gebung sich befand. Was immer sie mit ihren
Mitmenschen verknüpfen mochte, als stärkstes Band
erkannte sie nur eines: Verständniß. Sie kam mit
den verschiedensten Typen und Gestalten in Fulda
in Berührung, und wo sie geistigen Anklängen
begegnete, da wurde ihr volles Interesse wach;
mit enthusiastischer Anerkennung neigte sie sich
den ihr geftnnungsverwandten Persönlichkeiten zu,
ohne auf Geburt oder Stand zu sehen, und
— mochte dies nun der dem Bürgerthum ent
sprossene Arzt sein, dem trotz des kaustischen
Zuges » la Mephistopheles ein Funke poetischer
Begeisterung im Herzen glühte, oder mochte es
das in grüner Einsamkeit aufgeblühte Försters
töchterlein sein, in dessen träumerischer Seele die
Flügel der Poesie sich leise entfaltet hatten, oder
mochte es selbst ein hochbedeutender Kirchenfürst
sein, wie der geniale Bischof Johann Leonard
Pfasf —: Me erfreuten sich dankbar der Theil-;
nähme und Werthschätzung einer so hohen und
reinen Menschennatur wie Sophie von Gilsa
sie war.
Berfafferin dieser Skizze bewahrt einige Briefe,
aus denen das liebenswürdige Bild der Dichterin
überaus klar und erwärmend zu Tage tritt und
sie kann sich deshalb nicht versagen, wenigstens
einen davon mitzutheilen. Der Brief ist von
Bad Nauheim datirt und an den vor mehreren
Jahren in Fulda verstorbenen Medicinalrath
vr. Schwarz, der in den vierziger Jahren Mit
glied der kurhessischen Ständekammer war, ge
richtet.
„Sie haben, lieber Herr Medicinalrath, mir
durch Uebersendung Ihrer perorirenden „Eintags
fliegen" große Freude gemacht und ich sage
Ihnen meinen innigsten Dank dafür. Ich glaubte
Sie sprechen zu hören beim Lesen der schönen
Gedichte und freute mich Sie selbst in ihren
Produktionen wieder zu sinden. Wie man Louis
Philipp den Bürgerkönig nennt, so wird man
Sie als Bürgerdichterbegrüßen, denn Sie haben
gewiß der in Ihrem Besitz bereits vorhandenen
Maffe von Popularität eine bedeutende Dosis
dieses nicht zu verachtenden Krautes zugefügt,
indem Sie den Geist der Bevölkerung Fulda's
so richtig aufzufassen und so veredelt wieder
zugeben verstanden.
Ihre gütigen Bemühungen hinsichtlich meiner
Jugendschrift erkenne ich mit größtem Danke
und wünsche gar sehr, jemals Gelegenheit zu
haben, mich Ihnen auch gefällig erweisen zu
können; an der Art, womit unsere Freunde
uns dienen, sind dieselben zu erkennen, und ich
bin stolz darauf, die Ihrige erkannt zu haben
und im Besitz eines so gütigen Freundes und
Gönners zu sein. Die Leute sagen zwar, Euer
Gnaden hätten so ein Bischen Verwandtschaft
mit Vetter Mephisto, das heißt nicht im bösen
Sinne; wenn diese Verwandtschaft jedoch auf
der andern Seite durch eines guten Genius
Eigenschaften neutralisirt wird, so entsteht daraus
ein ganz angenehmes Etwas, welches um so
wohlthuender wirkt und erscheint, als es nicht
gewöhnlich ist, denn nichts übt, wenigstens auf
mich, einen so niederschlagenden Einfluß aus,
als Alltäglichkeit, und nichts erhebt, belebt
und erfrischt mich mehr als das Gepräge einer
nicht ganz irdischen und materiellen Natur.
Meine Gesundheit scheint vor der Hand auf
dem besten Weg zur Besserung, und wenn Alles
sich für die Folge so bewährt, wie es jetzt sich
zeigt, so werde ich große Ursache haben, das
Nauheimer Bad zu preisen; ich denke, Sie freuen
sich mit mir, daß ich endlich Aussicht habe ein