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Bänke und Stühle. An den Wänden hängen
goldbeflitterte Bilder aus der heiligen Geschichte,
einige eingerahmte Todtenkränze mit Inschriften
vom Melsunger Stadtdichter, und ein kleines,
rothes Nadelkissen in Herzform, welches daran
erinnert, daß ihr seliger Mann ein Schneider
war. Auf dem Fenstersims liegt die alte messing-
beschlagene Bibel, deren erstes Blatt eine Art
Familienchronik enthält und daneben grünt lustig
das Myrtenstöckchen der Kathrinlies. Kathrinlies
ist kein Dorfkind, fein, schlank und Biegsam ist
die Gestalt und das Gesicht mit den schwarzen
Augen hat etwas Schnelles, Keckes — Gewandtes.
Die Großmutter tz.flegt zu sagen: „Das Mägen
hot ewas in den Ögen, dos emme nit läßt."
Aber was dieses „ewas" war, hätte sie wohl
schwer zu sagen gewußt, denn brav und steißig
war die Kathrinlies und konnte ihr keiner Uebeles
nachreden. Ihr Vater war Nachtwächter gewesen
im benachbarten Melsungen. Aber Vater und
Mutter waren früh gestorben, bei der Großmutter
war das Mädchen groß geworden und kurz nach
der Comfirmation suchte sie einen Dienst in Kassel.
Beim Abschied hatte die Großmutter gesagt:
Bleib ein rechtschaffen Mensche, Kathrinlies und
trau keinem Mannsbild über die Hecke. Tritt
den Pfad nach der Schnüre, Kathrinlies. Jedes
Jahr zur Kirmeß ist die Kathrinlies heimgekommen
zum Tanz unter der Linde und droben im Gast
hofsaal und jedes Mal hat sie stattlicher und schöner
ausgeschaut und den strammen, hessischen Burschen
besser gefallen. Für ein tüchtig Bauernweib aber,
das schwere „Kotzen" trägt, war sie verdorben.
Eigentlich auch hatte sie einen Schatz, einen
Burschen aus der Stadt, den Nachbarssohn — der
„krumme Hans" genannt, weil seine Beine nicht
ganz im Gleichen waren. Aber alle hatten
Respect vor ihm, denn er war ein wilder Gesell
und konnte das Wort und die Fäuste führen.
Nur bei der Kathrinlies gab er klein bei und
war zahm wie ein gefangener Falke. Mit dem
Hannes hatte sie als Kind täglich gespielt und
die Liebe zu ihr war in sein Herz hinein gewachsen
und hatte leise und heimlich die tiefen Wurzeln
geschlagen, die nicht auszurotten sind. Aber es
kam eine Zeit, da ward die Kathrinlies, wenn
sie heimkam, fremd und vornehm zum Hannes,
das fraß ihm am Herzen und eines Tages zog
er den Sonntagsrock an und fuhr nach Kassel
und suchte die Kathrinlies aus, die in einem
prächtigen Hause, das in der Bellevne in Kassel
steht, Stubenmädchen war. Gar schmuck und
niedlich sah sie aus im weißen Schürzchen und
coquetten Häubchen, der Hannes stand sehr ver
legen in der großen, blinkenden Küche und stotterte
nur so auf die Kathrinlies hinein: „Kathrinlies,
ich bin Meister geworden und wollt' dich fragen,
ob du meine Frau werden wolltest — ernähren
kann ich dich wohl."
Da sah die Kathrinlies den Hannes von oben
bis unten an, dann stemmte sie die Arme in
die Seite nnd lachte laut und gellend, daß es
dem Hannes in die Seele schnitt.
„Was bildest du dir ein, Hannes? Grafen
und Barone gucken sich die Augen nach mir aus
und ich sollte mich in deine verräucherte Pechbude
sperren laffen? Und einen Burschen nehmen,
der nicht einmal bei die Soldaten kommt. Ne,
Hannes, das war einmal, als ich noch dumm und
jung war!"
Da flammte ein heißes Licht in den Augen des
Hannes auf und blitzte die Kathrinlies an, daß
es ihr fast schien, als habe der Bursch plötzlich
ein anderes Gesicht bekommen und sie scheu
von ihm zurückwich.
„Grafen und Barone!" höhnte er und seine
Stimme, die bisher für sie kein rauhes Wort
gehabt, klang scharf und schneidend: „Grafen und
Barone! dann bist du freilich keine Frau für
mich!"
Er sah sie an von oben bis unten, als habe
er sie noch keinmal gesehen — dann sagte er:
„Adjös, Fräulein Kathrinlies" und ging die
Treppe hinab.
Selbst das härteste Gemüth merkt etwas davon,
wenn ein Mensch es im Zorn verläßt, der es
lebenslang geliebt.
Die Kathrinlies fühlte eine dumpfe, unver
standene Reue im Herzen, als sie allein war,
sie ahnte etwas von der Schwere und Bedeutung
ihres Verlustes — aber es ging ihr wie Man
chem Beffern — sie erkannte das Gesicht ihrer
Liebe, ihres Glückes nicht einmal, als es seinen
schmerzlichen Abschied nahm.
Die Zeiten vergehen. Das kleine Dorf Röh-
renfurt merkt nicht viel davon — es pflügt, sät,
erntet, begräbt seine Todten und zieht nach und
nach seine Kinder groß und nur der Schulmeister
hält eine Zeitung. Manchen möchte davor ban
gen, ein so enge erzogenes, weltfremdes Kind,
wie es in dem abgeschiedenen Thal aufwächst, in das
bewegte Leben zu senden. Aber selten berechnet
ein Mensch Gefahren, die er nie erprobt. Sorg
los spinnt noch immer die Großmutter das Braut
linnen des Enkelkindes. Eines Abends kommt
die Kathrinlies heim, den Kopf gesenkt, den An
zug vernachlässigt. Sie geht nicht die Heerstraße,
sondern schleicht sich über Hügel — Wald —
und Feldweg vom Melsunger Bahnhof nach
Röhrenfurt. Lange sitzt sie droben am Berge,
ehe sie ins Dorf tritt. Dunkel soll es sein,
wenn sie kommt. Das Thal lacht und glitzert
im Abendgold — ach — wie abgestorben scheint
Alles auf Erden, wenn die Freud' an uns