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„Und doch muß es sein, Bernhard", unter
brach ihn Hans Huber, während er sich um
wandte und sein blasses Gesicht voll auf den
Freund richtete —" es muß sein. Ich weiß
es, ich trenne mich schwer von der kleinen Grille
— sie zirpt so süß — aber wieder heirathen,
das geht nicht. — Mein Herz hat sich dennoch
nie von der Antigone lösen können, so ehrlich
ich es auch versucht habe, nie!"
Bernhards Hand, die noch auf des Freundes
Schulter gelegen, fiel jäh herunter, und er sah,
als traue er sich selbst nicht, verständnißtos in
das Gesicht des Freundes, auf dem jetzt ein
nagender Schmerz lag. Also doch, Eva Bosse,
das hschaufgeschossene Mädchen mit den dunklen
räthselhaften Augen! Gewiß, er und seine
Freunde hatten das immer gefürchtet, wenn
Hans Huber mit Homer und Cicero unter
dem Arme, und später mit der Studentenmappe
keine anderen Wege kannte, als die ihren.
Also doch!
Und als er jetzt wieder dem Freunde stumm
gegenüber am Tische saß, da spannen seine Ge
danken weiter an den verschwommenen Bildern
der Bergangenheit und immer lichter und lichter
erhoben sie sich aus dem Nebel der Zeit. Eva
Bosse! Wie sie den Kopf hoch hielt und vor
nehm zu gehen pflegte, als sei das schlichte ärm
liche Kleidchen, welches sie trug, aus lauter
Sammt und Seide!
Und als der erste Burschenschaftler der Ver
bindung Borussia in seinem besten Ornate bei
ihr Besuch gemacht, um sie zum Balle einzu
laden, da hatte sie die Augen mit souveräner
Ruhe zu ihm aufgeschlagen, als wollte sie mit
Antigone sagen:
„Du rührst an meine tiefe Herzenswunde."
Er mußte lächeln.
Das war ja freilich nur die Erfindung von
Haller gewesen, mit welcher er seinem Aerger
gerecht wurde, aber wahr blieb es doch, daß sie
die Bälle ablehnte, weil ihre Kleider zu ärmlich
waren.
„Hast Du Eva Bosse niemals wieder gesehen,
Hans?" fragte er, au diese Gedanken anknüpfend,
über den Tisch herüber.
Hans fuhr aus tiefen Träumen in die Höhe.
„Sagtest Du etwas, Bernhard?"
„Ich meine nur so, ich dachte an Eva Bosse
-- sie wnrde doch schon nach einigen Jahren
Wittwe, hast Du sie später nicht wieder ge
sehen?"
Hans Huber fuhr mit der Hand durch sein
kurzes dunkles Haar — eine Gewohnheit, die
Bernhard schon aus der Studentenzeit an ihm
kannte, — rückte seinen Stuhl näher zum Tische,
und während er mechanisch des Freundes Glas
füllte, sagte er langsam:
„Ihr habt Alle Eva Bosse nicht gekannt und
daher unterschätzt, Bernhard, glaube es mir,
Freund Haller gab ihr aus lauter Hohn den
Namen Antigone, aber sie hatte wirklich ver
wandte Züge mit ihrer griechischen Schwester.
Vor allen Dingen konnte sie nichts Erniedrigen
des ertragen. Und wenn sich das auch anfäng
lich nur in Kleinigkeiten äußerte, — du lieber
> Gott, was träumt sich so ein phantastisches Kind
in darbenden Verhältnissen nicht Alles zurecht!
Es haben schon ganz andere Leute geglaubt, daß
Glanz und Reichthum Glück seien." —
„Ich habe durch sie viel gelitten, Gott weiß
es," fuhr er nach einer Weile fort, während er
mit den zuckenden Fingern sein Glas drehte und
die Augen in das Gold des Marsala grub —
„habe sie auch eine Zeit laug gründlich zu hassen
gemeint, wie das so geht — aber ihre Armuth,
ihre tiefe Armuth und die stolze Art, wie sie
dieselbe trug, haben mich ausgesöhnt mit Allem.
Ich war fünf Jahre lang ihr Verlobter,
Bernhard."
„Um Gottes Willen, das habe ich nicht
gewußt, Hans" — und Bernhard nahm theil-
nehmend die Hand des Freundes, die zitternd
auf dem Tische lag. „Du kannst Dir vor
stellen", fuhr Hans erregt fort, „was das bei
einem Charakter, wie der Eva's, sagen wollte!
ES sollte kein Mensch eine Ahnung von unserem
Verhältnisse haben, weder meine Familie, noch
meine intimsten Freunde. Hätte ich sie nicht
so unbeschreiblich geliebt und so tiefe, große
Stunden mit ihr verlebt, ich hätte es nicht
ertragen."
„Aber was um des Himmels Willen konnte sie
bewegen. Dich aufzugeben, Hans?" „Ja, das
ist eine Frage, deren Antwort sich nur aus der
genauesten Kenntniß ihres Charakters und ihrer
Verhältnisse errathen läßt. Ihrer Natur waren
Armuth und Einschränkung unsäglich zuwider,
sie litt darunter, wie Andere unter physischen
Schmerzen. Das ewige Sorgen um die noth
wendigsten Dinge, wie oft hat sie mir gesagt,
daß ihr davor mehr graue, als vor allen
Schrecken der Welt."
„Aber sie ist anscheinend nicht davor bewahr^
geblieben?", fragte Bernhard. „Nein, si^
heirathete in thörichtem, eitlem Wahne den
reichen Mann, um kargen Leben aus dem Wege
zu gehen — und kam in die bitterste Noth. —
Als ob der Mensch das Elend, das auf seinem
Wege liegt, vorahnend im Herzen trüge.