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zugegangen, worin angegeben wird, „es sei der
Wille Napoleons, Hessen von Preußen zu isoliren
und als Mittelmacht zwischen Frankreich und
Preußen aufzustellen, der Erfolg werde durch die
Quantität der Opferpfennige bestimmt werden,
eine Neutralitätserklärung Hessens wäre wohl
möglich, wenn sie mit ein paar Millionen unter
stützt werde, freilich müßten da viele als un
erträglich betrachtete Dinge mit in den Kauf
genommen werden, namentlich große Zahlungen
an die habgierigen Unterhändler in Paris und
der völlige Abbruch der alten Beziehungen zu
England, ein Punkt, welcher die Hoffnung, auf
anderem Wege jene Summe zurückzuerhalten,
vollständig zerstöre."
Auch in Kassel hegte man noch in den ersten
Tagen des November (nach Aufzeichnungen eines
Zeitgenossen) die Hoffnung, die Sache werde noch
eine günstigere Wendung nehmen und nur der
Schatz des Kurfürsten stark in Anspruch genommen
werden.
In der Ansicht, daß auch nach seiner Ver
treibung noch durch Geldopfer viel für ihn zu
erreichen sei, wurde der Kurfürst in Itzehoe durch
den im Notizbuch genannten Geyling bestärkt.
Es war dies der geheime Rath von Geilingen
in Mainz, welchem er als früheren Gesandten
in Paris großes Vertrauen schenkte. Dieser hatte
schon in den ersten Tagen des November 1806
an ihn geschrieben: „Manche der hier anwesenden
französischen Officianten sagten mir unter anderem
im Vertrauen, es scheine Alles nur darauf ab
gesehen, Geld zu erhalten."
(Strippelmann Beiträge zur Geschichte Hessens.
Kassel 1791—1814. S. 253.)
Zu den Personen, bei welchen eine solche Ab
sicht mit voraus zu sehendem Erfolge unter
stellt werden konnte, scheint nun auch die nach
der Flucht des Kurfürsten in Hessen bedeutendste
und einflußreichste Persönlichkeit, der Divisions
general Lagrange, welcher am 4. November
1806 sein Amt als General-Gouverneur ange
treten hatte, gehört zu haben.
Professor Müller schreibt in Beziehung hier
auf in seinem „Cassel seit 70 Jahren!"
„Der Kurfürst ließ den ihm treu gebliebenen
Offizieren anfangs während ihrer Gefangenschaft
in Frankreich Unterstützungen, (bestehend in einem
Theil ihrer Gage,) zufließen, als aber diese immer
kärglicher wurden und endlich ganz aufhörten,
gaben sie ihren Widerstand auf. Derartiges ist
aber auch dem Lagrange in Betreff der von ihm
aufgelegten Kriegskontributionen und der vom
Kurfürsten zurückgelassenen Werthsachen
nachgesagt worden. Man munkelte, er sei unter
strenger Bewachung nach Frankreich zurückgeführt
worden."
Ein noch härteres Urtheil über Lagrange fällt
vr. Arthur Kleinschmidt, Docent der Geschichte
an der Heidelberger Universität, in seiner im Jahre
1878 erschienenen Schrift „Die Eltern und Ge
schwister Napoleon I.," indem er S. 269 schreibt:
„Polizei und Verwaltung leitete der Militair-
gouverneur Lagrange, der die ordentlichen und
außerordentlichen Landeseinnahmen für die Kriegs
kasse beanspruchte und mit der Unverschämtheit
eines Soult zusammenraubte, was zu haben war.
Jvrüme borgte indessen in Paris schon zwei
Millionen auf seine zukünftige Einnahme" und
S. 273 „General Lagrange wurde Kriegsminister
als König Jeröme am 7. December 1807 die
Regierung antrat, hatte aber so grob und schmutzig
erpreßt und betrogen, daß er noch im December
1807 abtreten mußte."
Damit stimmt eine Angabe überein, welche
ich in dem Tagebuche eines Zeitgenossen, des
Bauraths Ludovici, gefunden habe. Er schreibt
unter dem 16. December 1807: „Heute reiste
Lagrange ab, nachdem er vorher Stubenarrest
gehabt haben soll."
Diese Lagrange betreffenden Angaben finden
nun unzweifelhaft Bestätigung in der vom Kur
fürsten eigenhändig in das Notizbuch geschriebenen
Angabe, daß er an diesen im Januar 1807 die
Summa von 175 000 Thaler abgesandt habe.
Eine bei der Sparsamkeit des Kurfürsten so
bedeutende Summe läßt darauf schließen, daß
damit entweder eine für seine Interessen hoch
wichtige Angelegenheit hat ausgeführt werden
sollen, oder aber, was bei der großen Vorsicht
des Kurfürsten in Geldangelegenheiten wahrschein
licher ist, daß sie zur Belohnung für einen
ihm geleisteten sehr erheblichen Dienst gezahlt
worden ist. Da nun in der Zeit bis zum Jahre
1807 dem Kurfürsten von Lagrange kein wich
tigerer Dienst geleistet werden konnte, als ge
leistete Beihülfe bei der damals bereits bewirkten
Rettung des Staatsschatzes, so ist wohl die An
nahme gerechtfertigt, daß hiermit die Zahlung
der Summe in Verbindung zu bringen sei.
Das Verdienst, diese Rettung bewirkt zu haben,
über welche immer noch, namentlich seit dem Er
scheinen des Schriftchens von Hagedorn, so viele
sabelhafte Erzählungen verbreitet sind, gebührt un
zweifelhaft, wie auch Lynker und andere namhafte
Schriftsteller annehmen, vorzugsweise einem dem
Kurfürsten während der westphälischen Zeit immer
treu gebliebenen kurhessischen Offizier, dem da
maligen Hauptmann Conrad Wilhelm Mensing.
Im Besitze dessen Sohnes, des königl. preußischen
Obersten z. D. Mensing, befindet sich eine als
bald nach der That von dessen Vater nieder
geschriebene, von Stunde zu Stunde gehende und
vielfach durch Urkunden belegte Darstellung der