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auf dem Haupte saß das Hauskäppchen von dunkel
grünem Sammet mit der mächtig langen Troddel
aus lichtgrüner Seide, deren Knopf eine kunst
volle Eichel zierte. So schritt er von uns Kin
dern umringt, angethan mit dem grün und braun-
karrirten Schlafrock aus Beiderwand, durch das
schmale Gärtchen neben dem fast bäuerlich einfachen
Hause. Wie freundlich zutraulich klang das: „Guten
Abend!" der mit schwerer Gras, oder Holztracht
aus dem Walde heimeilenden Dorfbewohner über
das niedere Staket mit den wurmstichigen Lat
ten herüber. „Der ahle Förschter" konnte ihnen
ja nichts mehr anhaben. Der war ja nicht mehr
im Dienste, und so konnten sie ruhig mit ihren
unter Angst und Herzklopfendem Walde entführten
Schätzen dem heimischen Herde zueilen. War
erst die Last unter dem schützenden Dache des
Stalles abgeworfen, so war jede Gefahr vollends
vorüber.
Der alte Herr verrieth die Waldfrevler nicht
an seinen jüngeren Amtsnachfolger. Im Gegen
theil: es lag ein recht befriedigtes Schmunzeln
auf dem wettergebräunten Antlitz, wenn er die
armen Leute mit ihrer Beute in Sicherheit
wußte. Früher hatte man das überhaupt so
streng nicht aufgefaßt. Da war der Wald mehr
Gemeingut gewesen. Die Leute hielten einen
Waldfrevel nicht für „Diebstahl." Sie dachten
wohl, das läßt unser Herrgott für alle
Menschen wachsen, warum sollten sie da nicht
nehmen, was ste bedurften? Wenn sich nun auch
der alte Herr bewußt war, nie und nirgends
gegen sein Dienstreglement gesündigt zu haben,
o hatte er doch nie so scharf zu Gericht gesessen,
iber die Armen, die oft die bitterste Noth zur
Überschreitung der Gesetze trieb. Und ebenso
war er nachsichtig gegen die liebe Jugend. Mochten
die Burschen am Abend des Pfingstsonnabends,
immerhin ihren „Auserkorenen" die schönen
Maibüsche vor die Thür setzen, er sah es nicht.
Und den Schulkindern gestattete er, daß sie
unter Begleitung des Forstlaufers das einfache
Kirchlein mit den zartgrünen, dustenden Sträuchern
schmückten. Zum Dank setzten sie ihm den statt
lichsten Busch in den eingegitterten Kirchenstuhl,
und die erwachsenen Burschen zollten ihm ihren
Dank für seine gütige Nachsicht dadurch, daß sie
ihm ..sein Leiblied „Den Jäger aus Kurpfalz"
des Öfteren zu Gehör brachten, wenn sie an
Sonntagabenden singend das Dorf durchzogen.
Mochten die jungen Beamten das jetzt halten
wie sie wollten. Sein Glaubensbekenntniß, eines
biederen, hessischen Revierförsters, war kurz und leicht
faßlich. Da bedurfte es keiner langjährigen, beschwer
lichen Studien über Mineralogie und Botanik und
wie das Zeug alles heißt, und die Mathematik
war auch gerade nicht das Steckenpferd des alten
Herrn gewesen. Hatte er für uns „Grünschnäbel"
doch eine gewisse Bewunderung, weil wir schon
bei so jungen Jahren in die Geheimniffe der
Decimalbrüche- eingedrungen waren! Mit derlei
Larifari hatte er sich seines Lebtags nicht viel be
faßt. So hatte er es auch während seiner Amts
thätigkeit nie mit allzuviel Schreiberei gehalten.
Ja es ging sogar die dunkle Sage, es hübe sich
die Repofitur in unmittelbarer Nähe der Rauch
kammer befunden, wenigstens sollen gar manche
Aktenstücke stark angedunkelt gewesen sein. — Aber
die Buchen- und Eichenbestünde an den Bergabhän
gen des jenseitigen Schwalmufers, die zeugten von
seinen praktischen forstlichen Kenntnissen, von der
Pflege, die er seinem geliebten Walde angedeihen ließ.
Und dann erst die Jägerei. War das nicht das
ureigenste Feld der Thätigkeit für einen Forst
beamten der guten alten Zeit?
Auf allen Gebieten des Jagd und Fischerei-
Wesens wußte er Bescheid. Das zeigte sich auch äußer
lich. Das niedere, durch das die schmalen Fenster
umziehende Weinlaub in grünliche Dämmerung
ehüllte Wohnzimmer war rings an den Wänden
icht besetzt mit stattlichen Geweihen und seltnen
Rehbockstangen. Und jedes dieser zum Theil
prächtigen Exemplare hatte ferne Geschichte.
Was alles für schier unglaubliche, höchst wun
derbare Ereignisse sich zugetragen, ehe der
unerschrockene Weidmann die Träger dieser Ge
hörne zw Falle gebracht, das war ein nie ver
siegender, und stets anregender und belustigender
Erzählungsstoff. In späteren Jahren wurde er
oft selbst irre und verwechselte wohl zum Ergötzen
seiner Zuhörer die Geschichten der einzelnen
Glieder der Sammlung.
In dem Wohnzimmer hing auch neben der
guten alten Doppelflinte ein Blasrohr von be
trächtlicher Länge. Mit diesem Instrumente er
legte er Sperlinge.
Gerade über der ehemals grünen, nun vom Regen
verwaschenen und vom Zahn der Zeit stark be
nagten Hausthür hing das Knochen- oder rich
tiger Grätengerüst eines riesigen Hechtkopfes.
Wir Kinder betrachteten dieses gebleichte, an einen
Drachen aus unserem Märchenbuch etwas erinnemde
Ungeheuer stets mit einem gelinden Gruseln, so
viel sich auch der alte Herr mühte, uns begreiflich
zu machen, daß es ein sehr wohlschmeckender
Hecht mit dem stattlichen Gewicht von 30 Pfunden
gewesen sei, — und die althessischen Pfunde waren
noch um ein Weniges schwerer, als die heutigen Halb
kilos. Auch daß er selbst, unter Affistenz des
alten Uferaufsehers, des „Schmitthannes," dieses
Prachtstück eines Schwalmhechtes gefangen, hat
er uns unzählige Male mit allen Einzelheiten
erzählt. Nicht wie Hans oder Kunz diese Ge
schichte erzählt haben würden, nein, er verstand