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Zur Hebung des Sinnes für dramatische Kunst
in Kassel hat Knrfürst Wilhelm II. dadurch, daß
er durch Verwilligung bedeutender Geldsummen
(jährlich über 50600 Thlr.) das Theater zu
einem der ersten Deutschlands erhob, sehr viel
beigetragen. Dazu kam, daß er in dem zum
Generaldirektor des Hoftheaters ernannten früheren
Theaterdircktor Carl Feige den richtigen Maun
zur Ausführung seiner Absichten gefunden hatte.
Diesem gelang es gleich anfangs Kunstgrößen,
wie Seydelmann und Loewe für das Schauspiel
und Berthold und Gerstäcker für die Oper zu
gewinnen.
Letzterer, in Schmiedeberg bei Wittenberg ge
boren, war eigentlich zum Chirurgen bestimmt,
seine vortreffliche Stimme, verbunden mit außer
ordentlicher Begabung für Musik, ließ ihn aber
die ihm von der Natur bestimmte Laufbahn be
treten. Nachdem er von Benelli ausgebildet
war, debutirte er bei der Ritz'schen Schauspieler
gesellschaft in Chemnitz, kam bald darauf im
Jahre 1810 zur Seconda'schen Gesellschaft,
welche in Leipzig und Dresden ihre Vorstellung
gab und im Jahre 1815 nach Hamburg. Nachdem
er sich hier als Künstler und als edler und be
scheidener Mensch die allgemeinsten Sympathieen
erworben hatte, kehrte er 1820 nach Dresden
zurück, worauf er im folgenden Jahre mit
3000 Thl. Gage für das Kasseler Hoflheater
engagirt wurde. Gerstäcker hatte auch auf seinen
Kunstreisen in Dänemark, Holland und Frankreich
allgemeine Bewunderung erregt. (Allgemeine
deutsche Biographie).
Der so sehr gefeierte Sänger wurde auch in
Kdssel wegen seines musterhaften Privatlebens
allgemein hochgeachtet. Henriette Schmidt schreibt:
„er lebte außer seiner Kunst nur seiner Familie!
Wie oft denke ich noch an die harmlos ver
gnügten Slunden zurück, die ich mit ihm, seiner
Frau und seinen Kindern in seinem Hause ver
lebt habe." Sein Sohn war der bekannte Schrft-
steller Friedrich Gerstäcker, welcher zum Kauf
mann bestimmt, in Kassel in das Philippson'scheu
Geschäft als Lehrling eingetreten war, bald aber
Kassel verließ, um Oekonomie zu erlernen. Und
dann sein Glück in Amerika zu versuchen.
Der Kurfürst ehrte Gerstäcker nach dessen
Tode dadurch, daß er seiner Wittwe eine lebens
längliche jährliche Pension von 300 Thlr. be
willigte.
Möchten doch die jetzt lebenden Kunstfreunde
das Andenken an den berühmten Sänger dadurch
ehren, daß sie das von seinen Kollegen errichtete
schöne Denkmäl vor dem ihm drohenden Verfall
bewahren!
Der lange Hermes.
Eine Geschichte ans dem vorigem Jahrhundert von Franz Treller.
(Schluß.)
onate waren vergangen seit jenem Tage, der
Sommer neigte sich schon dem Ende zu, da
schritt in Kassel ein Grenadier im langen
Soldat enmantel langsam die Schloßfreiheit hinauf.
Vor dem Hause des Geheimen Raths von Schimmel
pfennig hielt er an, holte tief und schwer Athem,
öffnete dann die Thüre und betrat das Haus.
Er klingelte an der.Vorthür, und dem öffnenden
Diener drückte er seinen Wunsch aus „s Kathrinliß
zu sprechen."
„Do äs n Soldate Kathrinliß un well Dich
sprechen" rief der Diener in ein Zimmer hinein.
„Ach Du allemächtiger Gott" und flink fuhr
das Mädchen aus dem Zimmer heraus in den
Hauseren, in der einen Hand einen Scheuerbesen,
in der anderen einen Lappen..
„Hennes! Hennes! best Du's dann?" und
mit einem jauchzenden Schrei rannte sie auf ihn zu.
Der starke Mann umschlang sie mit dem Arm,
hob sie empor, küßte sie auf die Wange und
ließ sie dann langsam wieder zur Erde nieder.
'S Kathrinliß mußte sich doch ein Bischen
setzen, 's war ihm ganz schwach zu Muthe, aber
es dauerte nicht lange, dann sprang sie jubelnd
wieder auf und verschlang ihren Hennes mit
den Augen.
„Ich dachte jo, du kemest nidd Widder Hennes;
Ach du liewer Gott, wasf honn ich vor Angest
ußgestehn. Du, liewer, liewer Hennes, nu äs
jo Alles gud, nu best de Widder do — dem
liewen Godde si's gedanket."
So herzlich und liebevoll der Hennes seinen
Schatz anblickte, so lag auf seinem Antlitze doch
ein Schatten von Trauer.
„Na? was beste dann so stille? Freist Du
Dich dann nidd?"
Langsam begann der Grenadier:
„Kathrinliß ich muß De erst was sprechen —"