nicht verkleideter Gensdarmen vor dem Kloster,
um den darin Versteckten auszuheben.
Fräulein Bertha aber gewann noch Zeit, diesen
zu verständigen, der sich beeilte, auf den Kirchen
boden zu entkommen. Dort war für alle Fälle
ein geheimer Schlupfwinkel hinter der Dachver
kleidung angebracht und sogar vorsorglich mit
Lebensmitteln versehen. Der Schlupfwinkel war
eng und unbequem, aber sicher.
Als Fräulein Bertha den Gesuchten geborgen
wußte, raffte sie geschwind noch einige Bücher
fort, die Kellner in dem Zimmer der Aebtissin,
das er zu bewohnen pflegte, auf dem Tische zu
rückgelassen hatte, und beeilte sich, die unge
betenen Gäste zu begrüßen.
Sie selbst mußte dann die Führerin zur
Durchsuchung aller Räumlichkeiten des weit
läufigen Klostergebäudes abgeben. Auf der Zelle
der Aebtissin fand man eine verdächtige Kiste
vor und in dieser noch verdächtigere Bücher, die
Fräulein Bertha nicht hatte beseitigen können
und jetzt für ihr persönliches Eigenthum erklärte.
Als der Landrath zweifelte, bot sie ihm die
Bücher zum Geschenk an, um dadurch ihr Ver
fügungsrecht nachzuweisen; die Häscher aber
suchten sorgsam weiter.
Jetzt mußte Fräulein Bertha mit ihnen auf
den Kirchenboden klettern. Ein paar Minuten
später steht sie mit den Häschern unmittelbar
vor dem Schlupfwinkel Kellner's und ihr Herz
schlägt hörbar, denn dort, dort, durch die schmale
Spalte, nach der jetzt alle Blicke der Gensdarmen
gerichtet sind, sieht sie Eines von den dunklen
Augen Kellner's blitzen.
Die Gensdarmen sind mit Blindheit geschlagen
und wenden sich zur Umkehr. „Gerettet!" jubelt
in ihrem Innern Fräulein Blomeyer.
Die Häscher begaben sich mit ihrer Begleiterin
hinab in die Kirche und durchsuchen auch diese.
Da begeht Kellner die Thorheit, seinen unbe
haglichen Schlupfwinkel, ehe er ein erlösendes
Zeichen bekommen hatte, zu verlassen. In der
Meinung, daß die Häscher, die bei ihrem gar
zu gründlichen Suchen ungewöhnlich viel Zeit
brauchten, ihre Arbeit längst beendet haben
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müßten und schon wieder abgezogen seien, durch
schreitet er den langen Klostergang. Noch ein
mal ist ihm das Glück günstig. Er stößt näm
lich in dem langen Klostergang auf zwei Gens
darmen, diese aber verwechseln ihn mit einem
Blomeyerischen Oekonomiebeamten und lassen ihn
ungehindert passtren. Ihre Nähe aber hat ihn
ängstlich gemacht und als er den Klostergarten
erreicht hat, der sich im Innern des Klosters
befindet, fängt er zu laufen an. Diese Eile
wird bemerkt und macht ihn verdächtig und in
dem Augenblicke, da er über die Gartenmauer
klettern will, wird er verhaftet und dann nach
Marburg in preußisches Gefängniß gebracht.
Letzteres liegt auf der äußersten Spitze des
die Stadt überragenden Felsens und von dort
zu entkommen, war schwer. Dennoch sollte,
während zwischen Preußen und Kurhessen über
Kellner's Auslieferung verhandelt wird, der Ver
such gemacht werden.
Frauenlist geht über Alles. Fräulein Bertha
brachte es fertig, Feilen und eine Strickleiter in
Kellner's Gefängniß zu schaffen. Für das, was
sonst noch nothwendig war, sorgte von Kassel
aus die Partei. Den bis in die kleinsten Einzel
heiten ausgearbeiteten Plan der Flucht erhielt
der Verhaftete durch die schon erwähnte Cousine
Bertha's, die jetzige Frau E. Walther in Hanau.
Diese hatte sich als „Verwandte des Dr. Kellner"
die Erlaubniß erwirkt, ihm in sein Gefängniß
eine Flasche Wein bringen zu dürfen und steckte
ihm unbemerkt ihr heimliches Schriftstück zu.
Acht Tage lang waren Relais bis über die
Grenze gelegt. Aber Kellner muß doch auf un
vorhergesehene Schwierigketten gestoßen sei»,
Oder hatte ihn die Haft schon zaghaft gemacht?
Zum Versuche, den Plan der Flucht aus dem
Gefängnisse zu Marburg durchzuführen, kam es
nicht und als endlich die Auslieferuugsverhand-
lungen, die wahrscheinlich auch mit dem Fürsten
thum Waldeck hatten geführt werden müssen,
ihren Abschluß gefunden, brachten preußische
Gensdarmen den Gefangenen bis an die Grenze.
Dort stand eine hessische Militärescorte, die ihn
in Empfang nahm und in einer Extrapostkutsche
durch sürstlich-waldeckisches Gebiet, über Arolsen,
an die hessische Grenze und bis Kassel brachte.
(Schluß folgt.)