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Grenze. Schachten begab sich nach Venedig vor
aus, einen Geleitsbrief zu erwirken, der Land
graf lag bis zu dessen Rückkehr still. Zu Tre-
viso ließ er die Pferde stehen, Carl von Krumbs
dorff, Bastian der Harnischmeister und Eberhard
der fürstliche Marschalk hatten mit selbigen nach
Hessen zurückzureiten. In der Regel verkauften
die Pilger ihre Pferde zu Treviso, (Torins) aus
yaheliegenden Gründen. Venedig wurde zu
schiffe erreicht, am 22. Mai. Hier erwartete
Philipp, Graf von Hanau-Lichtenberg, mit einer
großen Anzahl Pilger aus verschiedenen Landen
den hessischen Fürsten, um unter seiner Aegide
sich dem Meere anzuvertrauen. Wilhelm und
alle übrigen Pilger schlossen mit einem Schiffs
patrone, welches nur ein venetianischer Edelmann
sein durfte, einen Vertrag ab. Demgemäß hatte
er sie von Venedig bis Jaffa zu transportiren,
auf dem Schiffe zu verköstigen und gleicherweise
wieder zurückzuführen, wofür ein Jeder 44
Ducaten oder 60 römische Gulden zu erlegen
hatte. Ausbedungen war, daß an Orten, wo
ein Aufenthalt gewacht wurde, dieser nicht über
2—3 Tage dauern dürfe und daß das Schiff
am 3. Juni absegeln solle. Diese Vertrüge mit
eingehenden genauen Bestimmungen wurden von
der Regierung überwacht und von ihren Proto-
notaren ratificirt. Wie häufig dennoch die Patrone
ihren Verpflichtungen nicht nachkamen, lehrt auch
unsere Reise; Schachten klagt, daß der Patron
sie gleich Anfangs 14 Tage länger hingehalten
auch an den Orten 4—5 Tage geblieben sei,
„wilchcs denen Bielgeren eine sehr große be-
schwärung ist, dann so sie am landte siendt,
muessenn sie kosten« und zehrunge für ihr geltt
thuen«, deß gleichen« viel andere stücke, so Er
verschriebenn hatt, nicht eines gehalten«." Geld
nahmen die Pilger nur wenig mit, dagegen
Wechselbriefe auf Alexandria, Aleppo u. a. O.
Landgraf Wilhelm nützte den Aufenthalt in
der glänzenden Stadt, welche damals alle übrigen
europäischen Hauptstädte, außer Rom, an Größe
und Reichthum weit übertraf, auf das Beste.
Der Reisebericht gibt in seiner treuherzigen Weise
offen Zeugniß. Staunen und Bewunderung
weckten der Schatz und die Kleinodien, welche die
Regierung allen Pilgern zur Ansicht gestattete.
Die Frohnleichnamsprocession ging in einer Pracht
und Ausdehnung vor sich, wie die Fremden sie
nie gesehen. Der Landgraf wurde zu derselben
eingeladen und ihm „große Ehre angethan."
Manche Merkwürdigkeiten werden beschrieben, da
runter die Einrichtungen für die Vollstreckung
der Todesurtheile. Auf einem Platze am Meere
stehen „zwei hübsche hohe Säulen, zwischen denen
justitia exequiret wird, als Henckenn, kopfab-
schlagen, brennen, viertheilen, wie das einer ver
schuldet." Im Dogenpalaste befinden sich zwei
rothe Marmorsäulen, zwischen denen Edelleute
gehängt werden „so sie es verdienen." Und
zwischen dem Dogenpalaste und der Kirche von
St. Marco, stehen zwei weiße Marmorsäulen,
„solches ist der Herzogen galgen, so deroselben
einer wieder seinen standt und der Venediger
thut, als dann einen oder zweien vor Zeitten
geschehen ist." Wohl einzig in der Welt dürfte
diese finstere Warnung an das Staatsoberhaupt
dagestanden haben, Nichts kann eindringlicher
von dem merkwürdigen Staatswesen reden,
welches durch Mißtrauen und Furcht sich hielt.
Der Reichthum der Bewohner Venedigs in Klei
dung und Schmuck werden bewundernd erwähnt,
von der Tracht heißt es „Frawenn gehen« ihnn
köstlichenn Sammelt undt seidenenn Röcken« mit
Ihrem köstlichen gülden« Brust undt Ermelnn
gestickett undt belegett mit Perlen undt anderen
Evelgestein; auch auf dem köpf fein geschmückett,
seltten findt man Eine, die ihr haar natürlichen«
schönen und lang habe, sie tragen als gemachtte
undt dodten haare, das machen« sie schön gelb
undt krauß undt bindten es aufs dein kopff zu
Hauff, wie man in Deutschen landten einem
pferdte denn Schwantze aüffbiendet und das
krause haar lasten über die ohrenn abhangenn
wie die Männer anzusehen». Vorne sind die
haar schöne, hindten zu kohlschwarz. Auch mag
ich sagen, daß Ich zwar an Weibern keine
schenndlichere kleidunge gesehen habe undt aus-
geschnietten, das man hinten» bis anst halben
Rückenn hinab, deß gleichen forne bis unter die
Brust sehen kann. Tragen dann Holzern schuhe,
die findt hoch, erliche einer, etliche zweier spannen
hoch, daß sie nicht drauf gehen können, findt mit
sammt oder schachlachen Duch überzogen. Hatt
jede ihr magtt daran sie sich haltten, wäre
sonstenn nicht möglichen«, daß sie darauff gehen
könnten undt welcher die höchsten haben' mag, die
dünket sich am bestenn . . . Auch ist ihr Artt,
daß sie sich anstreicheun undt ihre Angesichte
mahlen, doch findt sie viel lieblichere davon ich
nicht ferner sagen» will." Diese Kritik der
Veuetianerinnen legt den Rückschluß nahe, daß
die Deutschen Frauen jener Zeit sich vortheilhaft
dagegen abhoben.
(Fortsetzung folgt).