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Äm Gang übn den alten Kasteler Friedhof.
Von W. Vogge-Ludwig.
1. Heinrich Christoph Jussow.
in Gang über den nun seit beinahe 50
Jahren geschlossenen alten Kasseler Fried
hof ist so recht geeignet, uns die Hinfällig
keit und Vergänglichkeit aller irdischen Größe
und Herrlichkeit zur Erkenntniß zu bringen.
Die Anzahl der durch künstlerische Ausführung
hervorragenden Denkmäler ist keine große und
die Pracht derselben fleht nicht immer im Ver
hältniß mit den Verdiensten der Persönlichkeit,
deren Andenken sie gewidmet sind. Das pracht
vollste und künstlerisch vollendetste Denkmal birgt
die sterbliche Hülle des im ftühen Knabenalter
verstorbenen Sohnes Wilhelm's II. und der Gräfin
Reichenbach. Dagegen suchen wir vergebens die
Ruhestätte einst hervorragender und um ihr
Vaterland hochverdienter Männer. War ihnen
auch als Zeichen der treuen Liebe ihrer Angehö
rigen oder der Anerkennung ihrer Verdienste bei
ihrem Hinscheiden ein Denkstein zu ihrem An
denken errichtet, so hat doch jetzt der Zahn der
Zeit gar häufig jede Spur davon verschwinden
lassen. An vielen Stellen des Friedhofs finden
wir große Grabsteine, welche uns vergebens
nach dem Namen des hier Ruhenden fragen
lassen, davon einer Inschrift auf denselben nichts
mehr zu erkennen ist. So liegt unmittelbar vor
dem Begräbnißtempel der Gemahlin des Kurfürsten
Wilhelm's I. ein mächtiger Grabstein, welcher
zwar jetzt noch den Namen des darunter Be
grabenen, Heinrich Christoph Jussow, erkennen
läßt, dessen weitere Inschrift aber schon beinahe
gänzlich verwittert ist. Sie enthielt die bezeichnenden
Worte:
„Sein Denkmal sind seine Werke,
Drum anspruchslos, wie er im Leben,
Deckt dieser Stein
Was sterblich an ihm war.
Wird auch der Name auf seinem Grabsteine
in wenigen Jahren nicht mehr zu erkennen sein,
so wird er als der des Erbauers des Wilhelmshöher
Schlosses, der Löwenburg und des Aquäduktes
für immer unvergessen bleiben.
Am 30. Juli 1825 war seinem Sarge eine
große Menge seiner Verehrer und Schüler ge
folgt, und diese waren es auch, welche dem im
Leben ohne Familie und Anverwandte einsam ge
standenen, hochverdienten Manne den Grabstein
errichtet haben.
Bei der Anzeige seines Todes in einem öffent
lichen Blatte wurde von ihm gesagt:
„Eine lange Reihe von Jahren hat er dem
Staate mit musterhafter Rechtlichkeit gedient
und als Künstler Denkmäler hinterlassen, welche
von seiner Einsicht, seinem Geschmacke und seiner
Kunstbildung ein unvergängliches Zeugniß ab
legen."'
Sein Lebenslauf bestätigt die alte Erfahrung,
daß das angeborene Talent und wirkliche Genie
sich durch alle ihm entgegengestellten Hindernisse
endlich glücklich Bahn bricht und zum Ziele ge
langt.
Heinrich Christoph Jussow, war am 9. Dezember
1754 als einziger Sohn des Ober-Bauinspektors
Jussow in Kassel geboren und hatte schon in
früher Jugend ein großes Talent zum Zeichnen,
Malen und Entwerfen von Baurissen gezeigt,
sein Vater aber, obgleich selbst ein tüchtiger Bau
meister, bestand hartnäckig darauf, daß der Sohn
sich nicht, wie er wünschte, dem Baufache, sondern
dem juristischen Studium widme. Der gehorch-
same Sohn folgte, wenn auch mit Widerstreben,
dem Wunsche seines Vaters und bezog, nachdem
er seit dem Jahre 1771 das Collegium Carolinum
besucht hatte, im Jahre 1773^ die Universität
Marburg, um dort das Studium der Rechte zu
beginnen. Zwei Jahre hat er sich demselben auch
gewidmet, ohne ihm aber Geschmack abgewinnen
zu können, da seine Neigung ausschließlich auf
das Studium der Mathematik gerichtet war.
Nach Rückkehr in seine Vaterstadt, betrieb er des
halb ausschließlich dieses Studium bei dem in
diesem Fache hochangesehenen Professor Matsko.
Nach Ablauf eines Jahres wurde er aber von
Vater wieder genöthigt, sein juristisches Studium
in Göttingen fortzusetzen. Da auch die Göttinger
Professoren es nicht vermochten, ihn die Abneigung
gegen dieses Fach überwinden zu lassen, so
widmete er sich auch hier ausschließlich dem
Studium der Mathemathik, und mit um so größeren
Eifer, als er in dem berühmten Kästner, an
welchen ihn Matsko empfehlen hatte, einen großen
Gönner und Förderer keiner Studien gefunden
hatte.
Nach Ablauf eines Jahres kehrte er nach
Kassel zurück und erlangte endlich die Genehmigung
seines Vaters, das Studium der Rechte nicht
weiter fortzusetzen und sich der Architektur zu
widmen. Er wählte dieses Fach, in der richtigen
Erkenntniß, seine mathematische Kenntnisse und
sein Talent zum Zeichnen am besten dabei ver
werthen zu können. Um zunächst sich praktische