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Am Abend, wenn die Kinder am Heerdfeuer
sitzen durften, schnitzte ihm der Hennes aus Holz
Mensch und Thier, so gut er's vermochte, baute ihm
Häuschen und ließ sich recht quälen von dem
kleinen Kerl. Für ihn existirte auf der Welt
nur dieser eine kleine Mensch.
Gutmüthig wie ein junges Lamm, konnte den
Hennes aber Berserkerwuth ergreifen, wenn man
das kränkliche Kind verspottete oder gar schlug.
Nachdem der emporschießende Riese mehrmals
seine Körperkräfte gezeigt hatte, hütete sich auch
Jedermann dem Klemm zu nahe zu treten.
So vergingen die Jahre und aus dem schwachen
Barthel wurde ein gesunder starker Bursche, der
dem Bruder bald in seinen Beschäftigungen zu
helfen vermochte. Die Jagd »or die Leiden
schaft Beider und. glücklich waren sie, wenn'S
zum Treiben ging, wenn Einer oder der Andere
einen vornehjnen Herrn auf einem Pirschgang
führen durfte.
Der Herr v. Eschwege aber hatte die Forst
laufersjungen im Auge behalten und freute sich,
daß sie so kräftig emporwuchsen und so gute
Jagdbursche waren. Hatten sich auch sonst noch
Gönner erworben. Da war der Lieutenant von
Donop vom Regimente Maximilian, der gar oft
am Langcnberg und Burgberg jagte — der wußte
die Jungen zu schätzen, denn Keiner kannte Wild,
Standort und Wechsel besser.
Auch unser junger Prinz Friedrich war oft
draußen zur Jagd, und wurde,auf das unzer
trennliche Brüderpaar aufmerksam und besonders
auf den jungen Riesen, den Hennes. Fand auch
Gefallen an ihm, seiner Geschicklichkeit, seinem
ehrlichen offenen Wesen. Fast immer sah man
die Brüder zusammen, d. h. wo der Barthel war,
weilte, wenn'S nUr irgend anging, auch der
Hennes, eine Mutter konnte über einen ver
zogenen Liebling nicht sorgfältiger wachen, als
der lange Bursche über den Bruder. Der Barthel
aber, wenn auch im Ganzen ein guter Junge,
war verzogen und eigenwillig worden durch die
große Nachsicht und Anhänglichkeit des Bruders.
Auf Anordnung des Herrn v. Eschwege waren
die Brüder zum Förster gethan, der am Burg
berge wohnte und sollten da richtige Jäger wer
den. Waren auch bald weit und breit bekannt
als gar geschickte Weidmänner und treffliche
Schützen, besonders der Hennes.
So waren die Jahre hingegangen und die
Knaben waren unter Mühsal und Entbehrung
emporgewachsen zu stattlichen jungen Männern,
der Hennes wär nun 26 Jahr alt und der
Barthel 19. Der Aeltere hatte auch seinen
Schatz, die Kathrinließ, aber als die nach Kassel
zog, um dort zu dienen, 's war auch nur armer
Leute Kind, ging der Hennes doch gewöhnlich
nur nach der Stadt, wenn der Barthel ging.
Weit und breit war das Brüderpaar bekannt,
und besonders die riesenhafte Kraft des Hennes,
von der er vor hohen Herren oft Proben ab
legen mußte, wie seine unversiegbare Zärtlichkeit
gegen den Bruder. .
Eines Tages war der Barthel nach Kassel ge
gangen, und der Bruder hatte ihn sehr ungern
allein ziehen lassen; doch konnte er nicht an
seiner Seite sein, was nebenher bemerkt dem
Barthel oft sehr lieb war, weil sein Dienst ihn
fesselte.
Spät in der Nacht kam der Jüngere von der
Landgrafenstädt zurück und zwar stark berauscht.
Voll Unruhe hatte der Bruder seiner gewartet..
„'S ist aus, Hermes", lallte ihm der entgegen,
„sie haben mich — Schürn! Unser gnädiger
Herr soll leben!" Und dann sang er aus einem
alten Soldatenliede:
„Wisch ab liebe Liese, wisch ab Dein Gesicht,
Eine jede Kugel die trifft ja nicht". Den
Aelteren beschlich eine furchtbare Ahnung. „Was
hat's gegeben, Barthel?"
„Nichts hat's gegeben — Handgeld hab ich,
Donnerstag muß ich schwören — das hat's ge
geben."
Der Hennes wurde so blaß wir die Wand,
sagte aber kein Wort, sondern brachte den trunkenen
Burschen sorgsam zu Bette. -
Am anderen Morgen, nach einer schlaflosen
Nacht, erfuhr er denn von dem ganz kleinlauten
Barthel, daß er gestern in einem Wirthshause
in Kassel, in einem Streit mit einem Diener der
Gerechtigkeit, sich an diesem thätlich vergriffen
habe. Nachdem er diese Thatsache, welche er
möglichst beschönigte, gebeichtet hatte, fuhr er
fort: Während der nun Hülfe holte, denn allein
traute er sich nicht an mich, sprach der Sergeant
zu mir, der Weiland, weißt Du, aus Großen
ritte, der dabei war: Nimm Handgeld Junge,
• sonst legen sie dich auf ein Jahr in Eisen; als
Soldat können sie dir nichts anhaben." In
meiner Angst hab ich's genommen.- Als sie
kamen, mich in's Prison zu führen, lachte der
Sergeant sie aus, und sagte: ich sei Soldat Im
Regimente Maximilian und stände unter Mili
tärgesetz — ich hätte Handgeld!" Da mußten
sie mit langer Nase abziehe», der Sergeant hat
mich hergehen kaffen, weil er weiß, ich bin ein
redlicher Bursche, und morgen muß ich schwören-
Das ist es, und nun weißt Du Alles, Hennes."
Der Letztere hörte schweigend zu und schaute
nur mit den ehrlichen Augen den Barthel traurig.