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in humoristischer Weise seinen Eintritt in die
Kasseler Lehrerstelle geschildert. Mit Wieder
streben war er dem Rufe gefolgt und aus der
ihm so lieb gewordenen Stellung eine- Lehrers
an der Pnvatanstalt in Ricklingen bei Hannover
auf den Wunsch-seines Vaters geschieden.
Bon seinem Eintreffen in Kassel und der ersten
Zeit seiner dortigen Lehrtätigkeit erzählt er u. a.
„An einem schönen Maimorgen traf ich in
Kassel ein. Um recht pünktlich zu sein, meldete
ich mich sofort, noch im Reiseanzuge, bei meinem
neuen Direktor, dem braven tüchtigen Weber,
der mir aus einem strengen Chef bald ein nach
sichtiger Freund geworden, Er maß mit be
denklichem Micke zuerst meine hochaufgewachsene
schmale Gestalt, dann den allerdings verwegenen
Morgenrock aus schottischem gewürfelten Stoff,
ächt englischen Schnitts. Trauen Sie sich auch,
fragte er, den nöthigen Ernst zu, um Disziplin
zu halten, und die körperliche Kraft, die der
schwere Lehramtsdienst erfordert? Sie finden
in Prima und Sekunda Schüler, die älter sind,
als Sie." Ich erwiderte, daß ich mich bemühen
werde, baldmöglichst zu altern. Er duplizirte
lachend: „Nur dergleichen Späße nicht auf dem
Katheder. Ueberhaupt man weiß hier, daß Sie
für ein schöngeistiges Blatt in Hannover ge
arbeitet haben." Für die Posaune, Herr Direktor!
— „Unser Herr Minister läßt Ihnen sagen, daß
man dergleichen Allotria bei uns nicht liebt,
weder höheren, noch höchsten Orts. Sapienti
sät." Ich empfahl mich, ebenfalls schon satt,
noch ehe ich angefangen zu geuießen.
Mit den Schülern, die älter als der Lehrer,
hatte es übrigens seine Richtigkeit.
„Unser Herr Minister" hatte in seinen Gym
nasien zwangsweise das vertrauliche „Du" einge
führt. So oft ich mich den bemoosten Häuptern
gegenüber schüchtern und halblaut darin versuchte
— „Kolbe *) übersetze Du mir dle nächste Periode",
oder: „In Deinem th&ne sind sieben Fehler",
Harnier" — besorgte ich ein gleich vertrauliches
Echo „Mach's bester, Dingelstedt". Meine Be-
sorgniß ist niemals erfüllt worden. Die Schüler,
ältere und jüngere^ haben mich in kurzer Zeit
liebgewonnen, lange Zeit lieb behalten. Einer
von ihnen besonders: der Mosenthal.
Er saß in Tertia auf dee vierte« Bank von
oben. Er fiel mir bald auf durch, durch eine
*) Der verstorbene Sanitürsrath Dr. Kolbe und der gleichfalls ver
storbene Landeskreditkassen-Direktor Dr. Harnier gehörten keineswegs
zn den bemoosten Häuptern, sie waren 6 Jahre junger, als. Dingel
stedt und mit die jüngsten Schüler der damaligen Prima; als Her
vorragende Schüler mag dieser sie wohl besonders im Gedächtniß be
halten haben.
überraschend gute Aussprache des Franzbsischen
und durch bemerkenswerthe Gewandtheit im deut
schen Ausdruck; er zählte damals 16 Jahre,
war in Kassel 1821 vott armen, wenngleich jüdi
schen Eltern, gehören. Mehr Knabe als Jüng
ling, eher klein, als groß, weniger schlank, als
untersetzt, von Heller, ungewöhnlich frischer Ge
sichtsfarbe, mit rothem Haar, welches letztere da
mals noch nicht, wie heutzutage für schön galt.
Seine Aufmerksamkeit beim Unterricht war ge
spannt bis 'zur Unruhe; er lachte am längsten
und lautesten, wenn ich einmal — die Untugend
aller jungen Lehrer — einen schlechten Witz riß.
So hatten wir uns denn bald stillschweigend ge-
fundeü und es währte nicht lange, bis er sich
mir vertraulich näherte. Als ihn die Reihe traf,
die französischen Exercitien der Klasse, die ich
korrigiren mußte, mir ins Haus zu bringen, blieb
er, nachdem er seine schwere Bürde auf meinem
Schreibtisch abgelegt, an der Thüre verlegen stehen.
„Wünschen Sie noch etwas?" fragte ich freund
lich, das osficielle „Du" wie immer außerhalb
der Schule ablegend. Nach einigem Stammeln :
Ja, ich hätte wohl —: wenn ich so frei sein
dürfte", zog er aus seiner Tasche ein paar mit
seiner fließenden Handschrift dicht bedeckte Blätter
hervor: „Gedichte." Ich hieß ihn sitzen, lesen,
während ich zuhörte, ermuthigend mit deM Kopse
nickte, hier und da besserte. ES waren, soviel
ich mich erinnere, ächte Schülergedichte, Lese
früchte, Schnabelstudien eines noch nicht flüggen
Singvogels. Aber sie mußten etwas versprochen
haben, denn als ich ein Jahr später in Kassel
eine Wochenschrift „Der Salon" herausgab, ver
säumte ich nicht, lyrische Beiträge von Mosenthal
heranzuziehen. Er hatte — auch er schon —
mit seinen mir dargebrachten Erstlingen eine
schlimme Erfahrung gemacht. Mit überfließen
dem Herzen sprach er einem Mitschüler davon,
daß er mir seine Verse gebracht, daß Ich sie ge
lobt. Der erzählte es sofort weiter, die Kunde
drang bis zum Klassenlehrer. Der wiederum
ließ sich den vorlauten Dichter kommen, ver
mahnte ihn, daß man dergleichen bei uns nicht
liebe, weder hohen, noch höheren, noch höchsten
Orts und schloß mit dem Befehle: Uebrigevs,
wenn Du Verse machst, hast Du sie nicht dem
Herrn Dingelstedt zu bringen, der nur französi
scher Lehrer ist, sondern mir' dem Ordinarius,
der ich ja auch Deine deutschen Aufsätze korrigire.
Spracht und entließ ungnädig den begoffenen
Poeten, der'stracks zu mir eilte, beschämt und
betrübt den Ausgang seiner literarischen Versuche
berichtete und mich um Rückgabe der kleinen
Blätter bat. Ich glaube^ er hat dabei geweint.