114
ganz verschlossen wurden. Wie sich diese un
sinnige Maaßregel gerächt, wie der Münzendieb
stahl im Museum, der wohl noch in aller Ge
dächtniß ist, nur dadurch möglich war, bewies
schließlich der immer mehr zu Tage tretende
Verfall der Knnst-Anstalt.
Niemand in der Umgebung des Fürsten scheint
den Muth gehabt zu haben, Vorstellungen zu
machen gegen das Verbot, die Gemäldcgallerie
dem Publikum und dem Studium offen zu halten,
trotzdem es unserer Stadt empfindlich schadete.
Uns Schülern der Akademie war es nur in
langen Pausen gestattet, unter Führung des In
spektors, einen flüchtigen Blick auf die Meister
werke zu werfen, ohne den geringsten Nutzen von
diesen Besuchen zu haben. — Ueberdies waren
die Lokalitäten der Akademie (im Hannsch'schen
Hause) durchaus ungenügend und die Lehrkräfte
mochten auch durch die allgemeine Gleichgültig
keit mürbe gemacht, Lust und Energie verloren
haben, um hier Wandel zu schaffen. Es wurde
wenig gelehrt und noch weniger gelernt.
Die damalige Direktion der Akademie hatte
sicherlich den besten Willen, die Eleven zu bilden
und den Studiengang zu regeln, befand sich aber
in beständiger Meinungsverschiedenheit mit dem
Leiter der Malklasse. Wir Schüler dieser Klaffe
fühlten uns lebhaft angezogen durch das stets
freundliche und geistvolle Wesen unseres Lehrers,
des als Künstler wie als Schriftsteller rühmlichst
bekannten Professors FriedrichMüller,fürden
wir eifrig Partei nahmen, gegenüber dem vornehm
zugeknöpften Auftreten des Direktors, wenn
auch, wie wir nicht verkennen wollen, die Ab
sichten des Letzteren nur gut gemeint sein mochten.
Es war dies der kürzlich verstorbene Geh. Hofrath
'S. R u h l, ein hervorragender Künstler, der gleich
falls als Schriftsteller mit Erfolg thätig war.
Sein erstes Schaffen fällt noch in die Zeit der
romantischen Richtung der 30er Jahre, später
wandte er sich der Geschichtsmalerei zu und zeigte
sich besonders in der Wahl seiner Stoffe als geist
vollen Künstler.
Trotz aller dieser wenig erfreulichen Zustände
war Kassel nahe daran, in den vierziger Jahren
eine Kunststadt zu werden. Schon lange hatte
unsere herrliche Waldlandschaft Künstler in unsere
Nähe gezogen, um Studien zu machen und
Düsseldorfer Maler füllten ihre Mappen und
Skizzenbücher mit Darstellungen hessischen Bauern
lebens. Unter diesen, und an ihrer Spitze kein
Geringerer als Louis Knaus, entstand der
Gedanke, nach Kassel überzusiedeln und noch
andere namhafte Genossen mitzubringen. Nach
eingehenderen Erkundigungen über hiesige Ver
hältnisse, nachdem man erfahren, daß in Kassel
kein einziges Maleratelier zu finden sei und
the last not least, nach dem, was von den
höheren Ortes herrschenden Eigenthümlichkeiten
verlautete, beschloß man zu Hause zu bleiben.
Bon Malern, welche um jene Zeit 'in Kassel
thätig waren, erfreute sich keiner größerer Be
liebtheit, als A u g u st v o n d e r E m b d e. Er
war so recht der Maler, um dem großen Publi
kum zu gefallen, seine rosigen Kindergesichtchen
mit den lachenden Augen, seine reinlichen Bauern
mädchen wurden in überschwenglicher Weise ge
lobt und als Portraitmaler war er lange Zeit
der gesuchteste. Heute freilich würde selbst das
große Publikum sich kühler gegen seine Malerei
verhalten.
Eine künstlerische Persönlichkeit eigener Art
war der vor einigen Jahren verstorbene G l i n z e r.
Er hatte in jüngeren Jahren noch die strenge
französische Schule von Gros genossen und Stu
dien nach dem Leben von seltener Vortrefflichkeit
gemacht. Er war vielleicht der einzige Kolorist,
den Kassel zu jener Zeit besaß, kam aber nie
zu einer ruhigen Ausnützung seines Talentes
und zersplitterte sich in allen möglichen Versuchen
auf Gebieten, die ihm fern lagen.
Unter allen hiesigen Malern war aber keiner
bekannter, als F r i e d r i ch M ü l l e r, der „rothe
Müller" genannt, ebenso hoch begabt alsLandschafter,
wie gesucht als geistvoller und witziger Gesellschafter.
Er hatte eine Reihe von Jahren in Italien ge
lebt und sich durch seine meisterhaften Studien
nach der dortigen Natur rühmlichst hervorgethan,
und hatte wohl das Zeug dazu, einer der ersten
Landschaftsmaler unserer Zeit zu werden. Leider
fehlte ihm der Ernst und die Stetigkeit bei der Ar
beit. In seiner besten Zeit malte er wirkungs
volle Waldbilder (den heiligen Hubertus) und
seine Studien mochten es wohl erklären, daß er
ein leidenschaftlicher Jäger wurde. Sein scharfer
Witz und sein Sarkasmus zeigten sich in glänzend
ster Weise in den Karrikaturen fast aller be
kannten Persönlichkeiten der Stadt, sie sind in ihrer
Art nie erreicht, geschweige denn übertroffen
worden. Müller starb 1859 in München.
Ein glückliches Künstlerdasein wurde L o u is D e s
Coudres zu Theil, der durch eisernen Fleiß
und strenges Studium sich einen geachteten Namen
erwarb. Zu seinen Gemälden historischen In
halts machte er mit peinlicher Gewissenhaftigkeit
eine Masse von Studien nach der Natur, so daß
dann dem ausgeführten Bilde in der Regel die
ursprüngliche Wärme abging. Er ging, als Pro
fessor berufen, nach Karlsruhe, wo er 1878 starb.