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Prächtig schallte es durch die grüne Einsamkeit,
und siehe, da erschien auch wirklich jetzt im dunklen
Fensterrahmen ein liebreizender Mädchenkops,
der erglühend und mit leuchtenden Augen heraus
spähte.
„Nanderl!" jauchzte Kilian, und mit einem
Satz stand er umer dem niedrigen Fenster, um
sein Lieb zu begrüßen, sie aber machte ihm ein
abwehrendes Zeichen und zog sich blitzschnell
wieder zurück.
Er sollte nicht im Zweifel über ihr sonder
bares Benehmen bleiben, denn in demselben
Augenblicke hatte ihn eine unsanfte Hand von
hinten am Kragen, und der Alte aus dem Wild
park schrie ihm in die Ohren: „Treibt sich denn
der unverschämte Landstreicher noch hier herum?
Ich hab's Ihm schon einmal gesagt: hier ist kein
Wirthshaus, und wenn Er sich nicht augenblick
lich von der Stelle packt, so hetz' ich ihm die
Hunde auf den Balg."
Kilian schüttelte die derbe Faust ab und schlug
einen Fußpfad ein, der von dem Fahrwege ab
zweigend, durch dichtverschlungenes Gebüsch sich
wand.
Er war glücklich, daß er endlich Nanderl's
Aufenthalt entdeckt hatte; weit aber wollte er
sich nicht davon entfernen, vielleicht konnte sie
ihrem grimmen Hüter heute doch noch einmal
entschlüpfen und war dann ungestört zu sprechen.
„Wenn mich nur der verwünschte Hunger
nicht so quälte in dieser Wildniß!" seufzte
Kilian, und er versuchte das gesunde Verlangen
nach Speise mit Bucheckern, die er unter den
Bäumen auflas, zu befriedigen, aber das war
doch eigentlich nur eine Kost für Eichhörnchen.
Da öffnete sich mit einem Male eine Lichtung,
und von jähem Bergeskegel grüßte ein stolzes
Schloß herab. Dort oben konnte er vielleicht
etwas zu essen finden! Er stieg die steile Höhe
hinan, aber wie er auf dem Plateau angelangt
war, da verwehrte ihm die aufgezogene Zug
brücke den Eintritt in die befestigte Burg. Ent
täuscht streifte er um die mit Schießscharten ver
sehenen Mauern herum, aus denen die Münd
ungen von schweren Geschützen drohend blickten,
dann wandte er sich seitwärts nach einer kleinen
Anhöhe, wo ein Mann im blauen Kittel am
Boden saß und behaglich sein Vesperbrod ver
zehrte; für einen Kreuzer überließ ihm dieser
gern die Hälfte desselben. Aber lange rastete
Kilian nicht dort oben, so sehr ihn auch der
Ausblick entzückte in die sonnenbeglänzte Land
schaft, in der sich so schöngeformte Berge zu
sammen drängten; nachdem er ein Briestein ge
schrieben, das er Nanderl heimlich zuzustellen
hoffte, zog es ihn wieder hinab in den kühlen
Waldesgrund, wo sie weilte.
Voll Sehnsucht war er abermals dem vom
Wipfelgrün überrauschten Hause nahe gekommen,
aber — o weh! — da erschien auch schon wieder
der alte Cerberus auf der Bildfläche. Um sich
seinen Blicken zu entziehen, schritt Kilian ge
schützt vom Dickicht des Unterholzes, rasch auf
der schon früher betretenen breiten Straße fort,
die nach einer kleinen Windung direkt in den
runden Bogen eines überthürmten Thores ein
führte.
Von dem Thurme mußte man gewiß unbe
schränkten Ausguck nach dem nahen Jägerhause
halten können, deswegen stürmte er die enge,
dunkle Wendeltreppe hinan und stieß oben eine
Thüre auf, die klirrend hinter ihm in's Schloß
zurück fiel. —
Er schaute sich um in dem kleinen, runden
Gemach; es war ganz leer, nur oben in der
Mauer befand sich eine Fensterluke, durch die
der Tagesschein auf die nackten, blos mit Spinn
weben bedeckten Wände fiel. Behend schwang
er sich zu dem breiten Simse auf; das Jäger
haus war nicht sichtbar, aber statt dessen eröff
nete sich eine märchenschöne Scenerie: Auf einer
duftigen Wiese ruhte im Glanze der Nachmittags
sonne ein behagliches, weißes Schlößchen und
ein kleiner See blinkte davor, auf dem ein
Schwanenpaar majestätisch stille Kreise zog.
In tiefer, süßer Traumesruhe lag das Bild
in seinem grünen Rahmen. Aber mit einem
Male wurde ein seltsames Leben wach. Aus
dem gegenüberliegenden Thore, — an das sich,
wie am diesseitigen hohe, steile Laubwände gleich
Coulissen anschlossen, — sprengte plötzlich eine
glänzende Cavalcade: ein Häuflein kriegerischer
Gestalten in prächtigen Husarenuuiformen, die
in stolzer Haltung auf wohlgepflegten Pferden
saßen. Ihnen folgte ein sechsspänniger reich
vergoldeter Galawagen, dem dann noch eine statt
liche Reihe anderer Wagen über den gepflasterten
Thorweg nachrasselte.
Bor dem Schlößchen machte der Zug halt.
Die in Gold und Sammt starrenden Cavaliere
stiegen aus und verschwanden Einer nach dem
Anderen hinter dem wappengeschmückten Portale,
während die Husaren ihre Thiere in einem gegen
überliegenden Stallgebäude unterbrachten.
Doch war die frühere Traumversunkenheit
nun verflogen. Lakaien und Heiducken in
farbenbunten Livreen rannten hin und her, und
der abgeschiedene Ort wurde von einer kleinen
Hofwelt belebt, auf die Kilian mit weitgeöffneten
Augen herabschaute. (Fortsetzung folgt).