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Anhang.
Die als Anhang vorstehenden Artikels beigegebenen
Aufzeichnungen G. F. von Lepel's haben folgenden
Inhalt:
Pie P«terreicha»«z der deutschen K«»de»-AKte i« 10. Inni 1815.
So Vieles auch über den Wiener Kongreß
geschrieben und gedruckt worden ist, so habe ich
doch nirgends aufgezeichnet gefunden, auf welch'
wenig würdige, ich möchte sagen unanständige
Weise die Unterfertignng der deutschen Bundes-
Akte vor sich ging und wie sie, zum Theil wenig
stens in blanco unterfertigt wurde. Da ich vor
zugsweise dabei thätig war, so fühlte ich mich
auch vor Allen berufen, den Vorgang als ein
Curiosum zu erzählen.
Der Wiener Kongreß nahte seinem Ende, die
Monarchen waren schon sämmtlich abgereist, ihre
ersten Minister sollten ihnen folgen; doch die
vielen Stipulationen, welche noch in die Kongreß-
Akte aufzunehmen waren, verzögerten den Schluß
von einem Tage zum anderen. Nach zehn. z»m
Theil nächtlichen Konferenzen war der definitiv
festgestellte Entwurf der deutschen Bundes-Akte
in der Nacht vom 8. auf den 9. Juni 1815
paraphirt worden. Der Bemerkung des Fürsten
Metternich, daß eine Urkunde von solcher Wich
tigkeit doch auch in angemessener Form auszu
fertigen sei, und daß die Kanzlei dazu des
ganzen folgenden Tags bedürfen werde, trat
Niemand entgegen und kam man überein, daß die
feierliche Unterfertigung am 10. Juni um 12
Uhr Mittags geschehen sollte.
Zur bestimmten Stunde versammelten sich auch
die deutschen Bevollmächtigten in der Staats
tau ;lei und nur die beiden großen Mächte blieben
aus; es hieß, sie seien anderweit beschäftigt.
Nach 1 Uhr fuhren mehrere bepackte Reisewagen,
namentlich die des preußischen Staatskanzlers
Fürsten Hardenberg und des niederländischen
Bevollmächtigten, Freiherrn von Gagern, auf dem
Ballhausplatze an, weil deren Eigenthümer un
mittelbar nach der Unterzeichuung abreisen
wollten. Endlich nm 2 Uhr traten die Erwar
teten eiii, Fürst Metternich entschuldigte die
Verzögerung in seiner bekannten verbindlichen
Weise und forderte dann den Königl. hannover
schen Geheimen Legationsrath von Martins, der
bei den deutschen Konferenzen das Protokoll ge
führt hatte, auf, die auf Pergamentbogen sehr
sauber geschriebene, mit seidenen Schnüren ge
heftete Urkunde zu verlesen.
Auf den Eingang, welcher die Namen der 34
Bevollmächtigten sammt deren Titel und Orden
enthält, gaben Wenige Acht, vielleicht war ich
der Einzige. Da fiel mir denn auf, daß Namen
und Titel des königlich sächsischen Bevollmächtig
ten nicht nach denen des königl. bayerischen
verlesen wurden; ich dachte, er würde später
kommen, als aber die Namen der königlichen
Bevollmächtigten vorüber waren, unterbrach ich
den Lesenden mit der Frage: ob er vielleicht den
königlich sächsischen Bevollmächtigten aus Ver
sehen übergangen habe? er sah nun genau nach
und fand zu seiner Bestürzung, daß derselbe
gänzlich fehle. Nun war die Verlegenheit groß.
Herr von Globig, obwohl er selbst das Versehen
garnicht bemerkt hatte, bestand mit Eifer darauf,
daß sein allergnädigster König -und Herr unter
den Paciscentcii lind er als Bevollmächtigter
ausdrücklich aufgeführt werde. Zu einer Einschal
tung am gehörigen Orte fehlte jedoch schlechter
dings der erforderliche Rauni und zu einer ander
weiten Mundirung die nöthige Zeit. Gleich
wohl mußte Rath geschafft werden. Nach langem
Hin- und Herreden wurde auf meinen Vor
schlag beschlossen, daß der dritte Bogen der Ur
kunde, auf dessen erster Hälfte die Omission be
gangen war, sofort herausgenommen und dafür
ein frischer Pergamentbogen eingeheftet- werden
solle, Herr von Martins aber auf Ehrenwort
die Verpflichtung zu übernehmen habe, dafür zn
sorgen, daß auf die zweite Hälfte des einge
zogenen Bogens, buchstäblich geschrieben werde,
was die zweite Hälfte des herausgenommenen
Bogens, nämlich mehrere Artikel des Kontextes,
enthalten hatte, auf der ersten Hälfte aber die
Titel so zusammengezogen würden, daß der,
glücklicher Weise nur wenige Zeilen erfordernde
Namen und Titel des königlich sächsischen Be
vollmächtigten an gehöriger Stelle eingeschaltet
werden könne.
Ueber diesen Verhandlungen und der Realisi-
rung des gefaßten Beschlusses verging fast eine
Stunde. Erst um drei Uhr kehrte Herr von Mar
tins mit der zur Unterfertigung hergerichteten
Urkunde aus der Kanzlei zurück, verlas sie und
gab die feierliche Versicherung, für die Ausfüll
ung des leeren Bogens auf oben vermerkte Weise
Sorge tragen zu wollen, und nun erst konnte
die Unterfertigung beginnen.
Neben der Bundes-Akte war noch eine Ur
kunde zu unterfertigen. Die königl. württem-
bergischen Kongreß-Bevollmächtigten waren nicht
autorisirt worden, den Konferenzen beizuwohnen
und die Bundes-Akte zu unterschreiben, hatten
sich aber schriftliche Versicherung ausgebeten, daß,
wenn ihr allergnädigster König und Herr sich
noch entschlösse, dem Bundesvertrage, wie er
vorläge, deizutreten, er als Mitpaciscent he-