93
enthielt, ohne Wunder und Willkür, ohne Zweck
und Absicht, und diese reine Nothwendigkeit der
Vernunstwahrheiten war sür jene Zeit eine neue
Entdeckung.
An die Wiederauflebung der Wissenschaften
knüpften sich bald Folgen von der größten Be
deutung. Köpernikus und Kepler wagten
es, ihre Entdeckungen und ihre der herrschenden
Meinung widersprechenden Lehren über die Stellung
unserer Erde im Universum zu veröffentlichen,
Galilei begründete durch seine Experimente die
heutige Physik, und Luther konnte die reinere
Lehre des Evangeliums wieder zur Geltung bringen
und durch seine unübertreffliche Bibelübersetzung
die Herzen der Nation gewinnen.
In hellen Haufen kamen die Helfer zu diesen!
Reformationswerk und unter diesen als einer der
hervorragendsten der gelehrte Melauchthvn,
der besonders die Reform der Schulen in's Auge
faßte. Er selbst sagt, die Reinigung aller Wissen
schaften und Unterrichtsweisen auf hohen und
niedern Schulen vermittelst eines zweckmäßigen
Studiums der Alten und einer gesunden Philosophie
sei die Aufgabe seines Lebens. In diesem Sinne
hat er selbst viele Lehrbücher und darunter auch
eine Bearbeitung des griechischen Mathematikers
Euklid sür Schulen verfaßt, und seine erfolg
reiche Wirksamkeit, der man die Lebensprinzipien
der heutigen Gymnasien und die Gründung vieler
solcher Anstalten zu jener Zeit verdankt, hat ihm
den Ehrentitel: prasosptor Germaniae eingetragen.
Dieser Zeit hoher geistiger Bewegung lag die
Geburt und Erziehung Philipp Ludwig's nahe.
War es nicht selbstverständlich, daß der fromme
und hochgebildete Graf auch an seinem Theil den
neuen Geist zu fördern suchte, der in Kirche und
Wissenschaft gedrungen war, der aber leideren
Folge des zerstörenden dreißigjährigen Kriegs dem
deutschen Volke erst spät die Früchte trug, welche
die begeisterten Reformatoren von ihrer Arbeit
hoffen durften?! Ich kehre zum Faden der ge
schichtlichen Erzählung zurück.
Philipp Ludwig ließ 1605 jenen stattlichen
alle andere Thürme der Stadt überragenden
Schloßthurm bauen, dessen sich noch viele von
uns erinnern, der aber in den letzten Rcgierungs-
tagen des Kurfürsten Wilhelm II. dessen wunder
licher Baulust zum Opfer fiel. Auch das Markt
schiff, das noch in unseren Tagen unter Bein's
umsichtiger Leitung in drei Stunden nach Frank
furt und in fünf Stunden wieder zurückfuhr,
war zu jener Zeit eine dankbar anerkannte
Schöpfung unseres Grafen, die ihn indessen in
ernste erst durch ein Urtheil des Reichskammer
gerichts beendigte Streitigkeiten mit engherzig
partikularistisch gesinnten Nachbarn verwickelte.
Kaiser Rudolph II., der die gediegene Kenntnisse
Philipp Ludwig's und seine seltene Einsicht
in Staatssachen kennen gelernt hatte, ernannte
ihn 1608 zu seinem Rath, berief ihn in wichtigen
Angelegenheiten an seinen Hof nach Prag und
trug ihin die ersten Würden des Königreichs
Böhmen an, er lehnte indessen im Gefühle seiner
Pflichten gegen sein Land und seine Familie
dieses ehrenvolle Anerbieten ab. Jni Jahre 1608
ging er mit ansehnlichem Gefolge nach London,
um die Tochter des Königs Jakob I., Prinzessin
Elisabeth, für den Kurfürsten Friedrich von der
Pfalz, den nachherigen unglücklichen König von
Böhmen, als Gemahlin zu werben. Nach glück
licher Erledigung dieses Auftrags reiste er durch
Holland nach Paris, wo er von Ludwig XIII.
und dessen Mutter sehr ehrenvoll aufgenommen
und mit Glückwünschen an den neu gewählten
Kaiser Matthias beauftragt wurde. Von Nürnberg,
wo er den Kaiser getroffen hatte, nach Hanau
zurückgekehrt, endigte er kaum einen Monat später
seine Lebenstage am 9. August 1612 im 36. Jahre,
leider zu früh für die Seinigen und sein Land.
Der Geschichtschreiber der hanauischen Grafen
sagt von ihm im vorigen Jahrhundert: „Philipp
Ludwig, von allen, die ihn kannten, ge
schätzt und von seinem Lande geehrt, wurde
wegen seines so frühen Absterbens als Freund,
Gemahl, Vater und Landesherr vermißt und
bedauert. Jede seinem frühen Grabe nachgeweinte
Thräne war ein Opfer der Erkenntlichkeit für das,
was er zum Besten so Vieler gewirkt hatte.
Noch jetzt nennt man seinen Namen nicht ohne
besondere Achtung und dankbare Erinnerung an
die von ihm herrührenden Stiftungen, die eben
so viel redende Zeugen von seiner Klugheit, Güte
und Fürsorge sind."
Sein Leichnam wurde unter zahlreichem Gefolge,
worunter Kurfürsten und Fürsten, in der Marien-
Magdalenenkirche am 23. September beigesetzt.
Dort wurde ihm auch ein Denkmal von künst
lerischem Werth errichtet, dem leider bei der letzten
Restauration dieser Kirche eine nicht recht passende
Stelle angewiesen wurde. Eine erst kürzlich wieder
zum Vorschein gekommene, wahrscheinlich nach
einer Todtenmaske hergestellte Büste desselben steht
vor Ihnen.
Er hinterließ acht Kinder, wovon hier besonders
erwähnt werden möge Amalie Elisabeth,
die, mit dem Landgrafen Wilhelm V. von Hessen
vermählt, diesen bewog, unserer durch den kaiser
lichen General Lamboy belagerten Stadt zu
Hülfe zu kommen und sie von ihrem viele Monate