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Den Schweiß von der Stirn wischend, trat er
in die kühle Halle des Hauses. Die sorgsame
Gattin brachte ihm alsbald einen Labetrunk.
Während er sich daran erfrischte, stattete er seiner
Mutter Bericht ab über den Fortgang der Ar
beiten. Die Kinder, welche seit dem Frühling
sich in Welsen ganz zu Hause fühlten, um
schmeichelten den Ohm, ihn bittend, sie auf dem
Leiterwagen mit hinaus auf's Feld zu nehmen. —
Da tönten plötzlich in diese Feierstunde dumpfe
Glockenschläge von Olsberg herüber, in gemessenen
Zwischenräumen sich wiederholend.
„Großer Gott!" rief Tankmar aufspringend,
„das ist Feuerläuten. Ich niuß augenblicklich
hin, denn Hülfe wird Noth thun, alle rüstige
Mannschaft ist' draußen auf den Feldern." Der
herbeieilenden Agnese reichte er mit seinem Ab
schiedsgruße die Hand. „Schicke mir von den
Knechten, was erreichbar ist. Siehst Du, Rauch
und Flammen kann man hier deutlich aufsteigen
sehen, lebe wohl!"
Dahin schritt er, Agnese blickte ihm nach voll
Stolz und Liebe. Kaum war es noch bemerkbar,
daß der kraftvollen Gestalt ein Gebrechen an
haftete.
Tankmar löste den Kahn vom Lande und mit
wenigen Ruderschlägeu trug ihn derselbe zum
jenseitigen Ufer.
Rasch befolgte die Zurückbleibende ihres Mannes
Anordnung, dann trieb innere Unruhe sie hinaus
auf den Altan, wo sie das Wachsen und Sinken
der Gluth beobachten konnte. Jetzt flammte der
Giebel des brennenden Hauses hoch auf, um
gleich darauf mit weithin schallendem Geprassel
zusammenzustürzen. Gellendes Geschrei begleitete
den Einsturz, und dann war es einen kurzen
Augenblick tvdtenstill, wie wenn ein lähmender
Schrecken jeden Ruf zurückdrängte.
„Es ist ein Unglück geschehen", sagte Agnese
laut für sich, dann faltete sie ihre Hände und
sandte ein Gebet zum Himmel für die Betroffenen.
Eine Uuheilskunde braucht keinen geebneten
Pfad, sie pflanzt sich fort von Mund zu Munde,
sie schwirrt durch die Luft, auf Flügeln des
rauschenden Windes kommt sie zu dem Betheiligten.
Die junge Baronin wußte nicht, woher sie es
vernommen, daß ihr Gatte schwer verletzt von
der Brandstätte getragen sei. Wie sie ging und
stand, war sie fortgelaufen, auf keinen Fergen
wartete die geängstete Frau, sie selbst setzte im
Nachen über den Strom. Alsbald stand sie neben
der Tragbahre, auf welcher man den Baron
sorgsam gebettet hatte, um ihn als sterbenden
Mann in die Burg seiner Väter zurückzuführen.
Das Leben eines Kindes rettend, stand er noch
oben auf der Brandleiter, als durch den Sturz
des Giebels diese das Gleichgewicht verlor und
der Herunterstürzende eine Verletzung am Rück
grat erlitt. Der herbeigerufene Arzt konnte
wenig Hoffnung geben. Fast schmerzlos war der
Verunglückte bei klarem Bewußtsein, nur ver
sagten ihm die Glieder den Dienst.
Langsam bewegte sich der Trauerzug Welsen
zu. Agnese, die Tankmar mit freudigem Auf
leuchten der Augen begrüßt hatte, hielt seine
Hand in der ihrigen, zu sprechen vermochte sie
nicht vor tiefer, schmerzlicher Bewegung.
„Liebling," flüsterte der Kranke, als er, auf
seinem Lager gebettet, ihr Antlitz über sich ge
beugt sah, „für die kurze Frist, die mir noch
auf dieser Erde vergönnt ist, gehe nicht von mir.
Wenn ich Dich nur sehe, den Druck Deiner
Hand empfinde, bin ich ruhig und getrost."
So blieb sie an seiner Seite. Wo anders hätte
sie auch Ruhe gefunden. Die bekümmerte alte
Mutter, der herbeigerufene schrecklich bestürzte
Bruder, sie kamen und gingen, Tankmar nahm
Abschied von ihnen, und dann waren die beiden
wieder mit einander allein. Was sie sprachen,
Niemand hat es belauscht. Stunde für Stunde
hielt Agnese treue Krankenwacht, bis des Gatten
Hand in der ihrigen erkaltete und das Herz auf
hörte zu schlagen, das ihr in grenzenloser Liebe
zugethan gewesen.
X.
Ein neuer Sommer war angebrochen. Ecke
brecht von Münikerode hatte seinen Wohnsitz nach
Welsen verlegt, welches ihm nach des Bruders
Tode als Eigenthum zugefallen war. Auf sein
und seiner Mutter Bitten versah Agnese nach
wie vor die Pflichten der Hausfrau. Der große,
eingreifende Schmerz verlieh ihrem Wesen etwas
Würdevolles, Ernstes, übrigens zeigte sie sich un
verändert, ja mitunter vernahm man wieder ihr
Lachen unter den jubelnden Stimmen der Kinder.
Der Oberst hatte zwar seiner Gemahlin den
Wechsel der Verhältnisse durch den Trauerfall
mitgetheilt, aber kein Wort der Aufforderung zu
ihrer Rückkehr hinzugefügt. Alicens Antwort
schreiben steckte Eckebrecht sehr mißmuthig ein,
ohne Jemandem etwas von seinem Inhalte mit
zutheilen. Die Baronin mochte nicht mit Unrecht
vermuthen, daß seine wieder erwachende Jugend
liebe mehr und mehr ihr getrübtes Bild ver
drängte, jetzt wo Agnese sich ganz ihm und den
Kindern widmen konnte. Dieser Brief blieb un
beantwortet, und somit stockte die ohnehin spär
liche Korrespondenz gänzlich. —