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ließ. So mit ungewöhnlichen Kenntnissen und
gereiftem Urtheil ausgerüstet, trat er 1596,
zwanzig Jahre alt, die Regierung seines Landes
an und vermählte sich noch in demselben Jahre
mit Katharina Belgica, einer Tochter des
Prinzen Wilhelm von Oranten, welche Ver
bindung wohl nicht ohne Einfluß auf die Theil
nahme war, die er den um ihres Glaubens
willen aus ihrer Heimath vertriebenen Nieder
ländern schenkte, und die zur Gründung der
Neustadt Hanau führte.
Um die Veranlassung zu diesem wichtigsten
Ereigniß während der Regierung unseres Gasen
übersichtlich darzustellen, muß ich in der Zeit
etwas zurückgehen.
Die Niederlande, zum Theil von Holländern,
zum Theil von französisch sprechenden Wallonen
bewohnt, waren zur Zeit Kaiser Karl's V., in
dessen Besitz sie sich befanden und der von 1516
bis 1556 regierte, zu hoher Blüthe in Industrie
und Handel gelangt, und der rege Geist ihrer
Bewohner hatte sich auch an die informatorischen
Bestrebungen Luther's, Calvin's und Zwingli's
angeschlossen, aber Kaiser Karl, der in Deutsch
land wegen des Widerstandes der Fürsten die
Ausbreitung der neuen Lehre nicht hindern konnte,
verfolgte sie in seinen Erblanden mit den härtesten
Strafen. Wer überwiesen wurde, ketzerische Lehren
verbreitet oder auch nur den geheimen Zusammen
künften ihrer Anhänger beigewohnt zu haben,
wurde zum Tode verurtheilt, mit dem Schwert
hingerichtet oder verbrannt, Frauen selbst lebendig
begraben. Und diese Urtheilssprüche konnte auch
ein Widerruf nicht aufheben, sondern höchstens
eine gelindere Todesart bewirken. Nach G r o t i u s
sollen während der Regierung dieses Kaisers
100600 Menschen auf diese Art in die Hand
des Henkers gefallen sein. Diese Verfolgung ver
anlaßte schon 1547 eine Auswanderung von
Wallonen und Holländern nach England
(unter Eduard III.). Als aber auch dort nach der
Thronbesteigung der Königin Maria (1553) die
protestantische Lehre verfolgt wurde, begaben sie
sich mit einer großen Anzahl gleichgesinnter Eng
länder nach Deutschland und zwar ein Theil
derselben nach Frankfurt a. M. Die Eng
länder kehrten indessen schon 1558 nach der Thron
besteigung der Königin Elisabeth in ihr Vater
land zurück.
Die Flüchtlinge kamen aber auch in F r a n k-
surt nicht zur Ruhe. Anfangs zwar wurden
ihnen in der Meinung, daß sie gleichen Glaubens
seien, Kirchen für Abhaltung ihres Gottesdienstes
überwiesen, aber als man merkte, daß sie in
Zeremonien und einigen Punkten der. Glaubens
lehre abwichen, daß sie Resormirte seien, ordnete
der lutherische Stadtrath die Schließung ihrer
Kirchen an, bis sie Prediger anstellen würden,
die von den lutherischen Stadtpfarrern examinirt
seien. Weder die Verwendung M e l a n ch t h o n 's
noch die des Landgrafen von Hessen noch ein
Gutachten der Marburger theologischen Fakultät
vermochte diesen Beschluß zu ändern. In jenem
Gutachten heißt es: „Wer erachtet es unbillig,
dem Artikel vom Nachtmahl abermals in's Elend
zu stürzen; der Bekenntnisse der beiderseitigen
Glaubensmeinungen wären einander gleich, Gottes
Wort und den ersten Kirchenlehreu gemäß, die
Zeremonien der Niederländer seien dem Worte
Gottes und der Einrichtung der ersten Kirche
ähnlicher als jene der frankfurter Gemeinde,
man verwundere sich, daß über so kleine Gegen
stände ein so großer Streit geführt werde."
Die Zählung der Niederländer ergab zu dieser
Zeit 2036 Glieder beider Gemeinden; jetzt aber
verließen viele von ihnen die Stadt, die meisten,
um nach England zu gehen, das ihnen und ihren
Landsleuten, die später folgten, zum großen Theil
den mächtigen Aufschwung seiner Industrie ver
dankt. Die in Frankfurt Zurückgebliebenen hielten
ihre religiösen Zusammenkünfte in dürftigen ge
mietheten Lokalen.
Nun ereignete es sich aber im Jahre 1593,
daß der holländische Prediger Gomarius eine
Nicht-Frankfurterin zur Frau nahm und darum
vom Stadtrath abgesetzt wurde, weil ein frank
furter Statut, in väterlicher Sorge für seine
weiblichen Insassen, nur das Heirathen von Ein
heimischen gestattete. Da die Holländer die An
stellung eines anderen Predigers verweigerten
und vier Mitglieder abwechselnd Vorträge hielten,
wurde dies Letztere vom Stadtrath untersagt und
der Betsaal geschlossen. Auch wurde zu derselben
Zeit der wallonischen Gemeinde die Anstellung
eines Predigers abgeschlagen.
-Daß alle diese Bedrückungen weit weniger in
religiösem Eifer und Ernst als in Berücksichtigung
sehr weltlicher selbstsüchtiger Interessen ihren
Grund hatten, geht aus einer Vertheidigungs
schrift des Stadtraths hervor, die im Jahre 1751
erschien, zu welcher Zeit die Niederländer zwar
wieder Bethüuser, aber ohne Thürme und Glocken
haben durften. In dieser, die den Titel „Kirchen
geschäfte von den Resormirten in Frankfurt"
führt, wurde unter anderm Folgendes gesagt:
„Wir wissen Gottlob, was die Liebe des Nächsten
erfordert, aber auch, daß die wahre Liebe von
sich selbst anfängt, der wahre Grund aller unserer
diesfalls mißfälligen Handlungen liegt in dieser
natürlichen ersten, und sodann in derjenigen