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gottvergessenen und sich alles erlaubenden Zeit
solgte auch sie, und ihr Leben ist voll der selt
samsten und anstößigsten Anekdoten und Abenteuer.
Dennoch trat auch in dies leichtsinnige und zer
rüttete Leben einst das Mene Mene Tekel, die
Ahnung des Todes, mitten hinein und begleitete
dasselbe, bis sich die Ahnung erfüllt hatte. Während
sie, in den ersten Jahren des Jahrhunderts, sich
in Warschau aushielt, träumte ihr einst, ein fremder
Mann komme zu ihr in eine kleine Kammer, die
sie gleichfalls nie gesehen hatte; der Fremde bringt
ihr einen Becher und sagt, sie solle trinken; sie
verweigerte es mit dem Bemerken, sie habe keinen
Durst. Aber der Fremde wiederholte, sie solle
trinken, es sei dies der letzte Trunk, den sie in
ihrem Leben trinken würde. Darauf erwachte sie,
aber Gestalt und Gesichtszüge des Fremden, sowie
das Aussehen des Zimmers hatten sich ihr unaus
löschlich eingeprägt, itnb öfters erzählte sie diese
sie niemals wieder verlassende Todesahnung theils
ihren Leuten, theils Anderen, zuweilen mitten in
dem Strudel der sinnlichen Lüste ihrer Zeit und
ihres Lebens. Als sie im Oktober 1721 nach
Paris kam, wohnte sie in einem Gasthanse, und
ließ, als sie sich übel befand, einen Arzt rufen.
Als derselbe, Dr. Helvetius, kam, erstaunte sie,
sah ihn starr an und sich darauf in ihrem Zimmer-
rings umher um. Ihr Begleiter, Graf Schlieben,
fragte sie, was ihr wäre, daß sie sich so verwunderte.
,Herr Helvetius', antwortete sie, ,ist eben derselbe
Mann, welchen ich in Warschau einst im Traum
gesehen habe und welcher mir den letzten Trunk
reichen wird; doch', fuhr sie mit Lachen fort, ,cm
dieser Krankheit werde ich noch nicht sterben, denn
dies ist das Zimmer nicht, in welchem ich mich
damals im Traum befunden habe.' Einige Monate
später wurde ihr eine Wohnung in einem Kloster
gemiethet, ohne daß sie dieselbe zuvor gesehen hatte.
Kaum betrat sie aber ihr Schlafzimmer daselbst,
als sie zu ihren Leuten sagte: ,Aus dieser Kammer
werde ich nicht lebendig kommen, denn dies ist
dieselbe, die ich vor Jahren in Polen im Traum
gesehen habe.' Damals war sie jedoch, wenngleich
sehr stark und schwer, vollkommen gesund. Ein
leichtes Zahnweh veranlaßte sie am 16. Februar 1722
sich einen Zahn ausnehmen zu lassen; es solgte
ein unbedeutendes Zahngeschwür und Fieber, worauf
man zur Ader ließ, — und kaum war dies ge
schehen, so gab sie, am 18. Februar 1722, den
Geist auf, unerwartet für sie selbst wie für ihre
Umgebung. Ihr Zimmer hatte sie nicht wieder
verlassen, und Dr. Helvetius stand neben ihr und
reichte ihr den letzten Trunk."
Aus Hermath und Fremde.
Wie die Kasseler Zeitungen berichten, ist nach
längerer Unterbrechung seit dem 11. d. M. die
Sammlung hessischer Münzen im Frie
drichs-Museum zu Kassel wieder zugänglich.
Den Freunden hessischer Geschichte, insbesondere
aber den Münzkennern, wird die Sammlung
manche Ueberraschung bereiten. Was seit Jahren
uub Jahrzehnten in Schränken verschlossen ge
ruht hat, ist zum ersten Male öffentlich aus
gestellt, der alte Besitz ist durch zahlreiche neue
Erwerbungen beträchtlich vermehrt worden, be
kanntes Altes und unbekanntes Neues ist in
chronologischer Folge übersichtlich geordnet dem
Beschauer vorgelegt. Raummangel zwang zur
Zurückhaltung der Hessen - Darmstädter Münzen.
Sonst ist der ganze Besitz an hessischen Münzen
und Medaillen ausgestellt, der hessischen Prägungen
von Denaren der Sophie von Brabant bis zur
Medaille aus die Jubelfeier der Oberrealschule zu
Kassel, die Prägungen der Ziegenhainer, Henne
berger, Hanauer, Schauenburger und Jsenbnrger
Grafen, der geistlichen Stifte Fulda, Hersfeld re.
Ein Stück deutscher Kulturgeschichte spiegelt sich
in dieser Sammlung wieder, die in 2600 Stücken
fast sieben Jahrhunderte umfaßt.
Die st u d e n t i s ch e n Korporationen zil
Marburg haben dem Rektor des vorigen Studien
jahres, zeitigen Prorektor der Universität, Professor
Dr. Max Bauer, welcher bekanntlich bei seinem
Rücktritte vom Rektorate beit ihm von der Marburger
Studentenschaft zugedachten Fackelzng ablehnte,
nunmehr in Anerkennung seiner verdienstvolleil
Führung des Rektorates eine Adresse überreicheil
lassen, die, angefertigt vom Universitäts-Zeichenlehrer
Schürmann, ein Meisterwerk der Zeichenkunst ge
nannt zu werden verdient. Das Titelblatt hat
folgende Inschrift:
Adresse der Korporationen an der alma mater
Phüippina. Dem Herrn Prorektor und Professor Dr.
Max Bauer, Ritter rc. gewidmet und dargebracht im
Wintersemester 1893/94.
Der Text lautet:
Hochzuverehrender Herr Prorektor!
Sehr geehrter Herr Professor!
Da es den Korporationen an der alma mater Philippina
leider nicht möglich war, Ew. Hochwohlgeboren den Aus
druck ihrer Dankbarkeit persönlich darbringen und durch
einen Fackelzug die Verdienste, die Ew. Hochwohlgeboren
während der Zeit Ihres Rektorates um die gesammte
Marburger Studentenschaft unzweifelhaft erworben haben,
ehren zu können, so bitten dieselben Ew. Hochwohlgeboren
durch die Annahme dieser Adresse gütigst die Aeußerung
des Dankes der unterzeichneten Korporationen entgegen
nehmen und dadurch bethätigen zu wollen, daß, solange