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zu schließen —, nicht als ob die Stiefmutter ihr
sympathischer erschienen wäre, sondern weil die
Trennung sie auch dem Vater entfremdete, zu dem
sie stets mit Liebe und Ehrfurcht aufgeblickt hatte.
Frau von Loßberg ging aus die Aussöhnung mit
vollster Bereitwilligkeit ein, das heißt, sie vermied
jede Andeutung einer Mißhelligkeit; die bräutliche
Tochter ward im Vaterhause mit offenen Armen
und allen ihr zustehenden Empfangsfeierlichkeiten
aufgenommen.
Frau von Loßberg war keine kleinliche Natur,
die Haupttriebfeder ihres Handelns bildete der
Ehrgeiz. Ihr Gatte diente ihr als Staffel, auf
welcher sie bereits zu der höchsten Stellung am
Hofe herangeklommen war. Als Wirklichem
Geheimen Rath stand ihni die „Excellenz" zu.
Seine Gemahlin nahm einen Platz bei Hofe ein,
von dem sie auf inanches ohne Puder ergraute
Haupt herabblicken durfte.
Stellte Agnefe Vergleiche an zwischen den beiden
schönen Frauen, denen sie so ganz wider Willen
nahegetreten war, so neigte sich das Zünglein der
Waage doch bedeutend nach Aurora's Seite herab.
Das Streberthum ihrer Stiefmutter erschien ihr
weit erträglicher als die launenhafte Liebens
würdigkeit Alicens, welche stets auf Triumphe
ihrer Eitelkeit bedacht war. Vielfach durch die
Huldigungen der Männer verwöhnt, fand sie es
nur natürlich, ihren Gatten zugleich als obersten
Sklaven zu betrachten. Daß Eckebrecht sich diese
Behandlung widerstandslos gefallen ließ, empörte
Agnesens Rechtsgefühl bis zum Ingrimm. Des
Obersten ebenfalls scharf ausgeprägter Egoismus
erblickte im Lobe der Schönheit seiner Frau ein
billiges Mittel zur Versöhnung, wenn diese ihm
wegen kleiner Rücksichtslosigkeiten schmollte.
Daß Niemand ahnte, welche bittere Enttäuschung
Agnese erfahren hatte, erleichterte es ihr in ge
wisser Weise, den Schmerz über diese Niederlage
muthig zu bekänipfen. Sie hätte sich selbst ver
achten müssen, wenn sie auch nur in Gedanken
eine Untreue gegen Tankmar begangen hätte.
Daß der Eckebrecht der Wirklichkeit vielfach von
dem idealen Wesen ihrer Phantasie abwich, be
wirkte eine allmälige Wandlung in ihren
Gefühlen zu Gunsten Tankmar's. Jetzt, als feine
Braut, vermeinte sie erst seinen vollen Werth zu
erkennen.
In der That, wenn Agnese die Männer mit
einander verglich, mit denen sie verkehrte, so fand
sie keinen, den eigenen Vater nicht ausgenommen,
zu dem sie in gleicher Weise mit vollem Vertrauen
und aufrichtiger Hochachtung aufblicken konnte.
Des Barons reichem Wissen verband sich eine
seltene Herzensgüte und Lauterkeit des Gemüthes.
Inzwischen ward zu Welse» im Familienrathe
beschlvssen, Eckebrecht solle seine» Abschied nehmen
und das Gut Münikervde bewirthschaften. Damals
hielt man eine Vorbildung zum Landwirth ebenso
erläßlich als die Ausbildung der Frau zur
Führung des Hauswesens. Der Boden brachte
die Haushaltsbedürfnisse aus, und man glaubte
dieselben am Vortheilhafteste» iin eigenen Ver
brauch auszunützen. Zudem war der Oberst des
Militärdienstes im Frieden gründlich überdrüssig
und diesmal taub gegen die Bitten der schönen
Frau. Alice weinte denn auch einen ganzen Tag,
und als sie sich endlich bewegen ließ, mit hinaus
zu fahren nach der Burg Münikervde, fand sie
alles dort „shocking“.
„Hätte ich es geahnt, daß Du mich hier iu
dem Felsennest einsperren willst, wäre ich lieber
in Amerika geblieben oder allein nach England
zurückgekehrt."
Der Baron suchte ihr zu beweisen, daß sie iu
Münikervde eine angenehme Gutsnachbarschaft
fänden und er alles aufbieten wolle, dies „Nest"
behaglich einzurichten. Als indessen seine Gattin
eigensinnig auf ihrer Mißachtung aller Vorschläge
beharrte, da schwoll auch ihm die Zornesader
und gereizt entgegnete er ihr:
„Wenn es Dir hier nicht gefüllt und ich nur
gut genug war, Dich aus Deiner hülslosen, ver
lassenen Lage zu reißen, so gehe doch zu Deinen
liebevollen vornehmen Verwandten in England.
Damals wollten sie freilich nichts von Dir wisse»,
weil ihnen Deine ganze Feldzugs-Escapade nicht
anstand. Ich halte Dich nicht."
Es war ein fast haßerfüllter Blick, den die
Frau auf ihren Mann richtete, er aber kehrte
ihr den Rücken und blickte unverwandt in
das auch im winterlichen Schmuck anmuthige
Thal, auf welches die bleigefaßten Scheiben des
Erkerstübchens den Ausblick boten. O, wie anders
hatte er sich's dereinst gedacht, in sein Haus
einzuziehen!
In der Nacht nach dieser stürmischen Unter
redung gab Alice zu Welsen Zwillingstöchtern
das Leben. In die für alle Theile unerquickliche
Stimmung der letzten Zeit brachten die kleinen
Wesen einen Strahl von Glück und Hoffnung.
Als Frau von Münikervde ihrem Sohne aus
jeden Arm eines der winzigen kleinen Geschöpfe
legte, ward es dem Kriegsmanne gar weich um's
Herz. Dies waren seine Kinder, und er gelobte
sich, der Mutter fortan mit Liebe und Nachsicht
zu begegnen.
„Nun wird schon alles gut werden", vermeinte
auch die Großmutter. „Alice wird Befriedigung
iu ihren mütterlichen Pflichten finden."