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ein; er kommt gerade dazu, als Vater und
Tochter sich zu dem einfachen Nachtmahl setzen
wollen. Der Doktor begrüßt den Oberst höflich
und reicht auch Luise die Hand, ohne daß der
Papa Einsprache erhebt. — „Nun", meint im
Laufe des Gesprächs der Oberst, „nun, Herr
Doktor, jetzt ist ja wohl die verfluchte Influenza
überstanden? Und heute Abend erlauben Sie mir,
meinen Skattisch im ,Schwan' aufzusuchen?" —
„Das geht nicht", sagt der Doktor entschiede».
„Das dürfen Sie auf keinen Fall." — „Aber
wenn ich doch gesund bin!" ruft der Oberst
ärgerlich. — „Sie sind Rekonvaleszent, Herr
Oberst, und wollen erst gesund werden. Bei dem
schneidigen Ostwinde, der draußen weht, wäre es
eine Gewissenlosigkeit, würde ich Sie hinauslassen."
Da half kein Vorstellen und Bitten, Doktor
Wehn war unbeugsam. Murrend ergab sich der
Oberst in sein Schicksal. „Sie wissen nicht, was
Sie mir anthun, Doktor, indem Sie mich um
meinen Skat bringen." — „Schweren Herzens
thue ich's nur, Herr Oberst, denn —" — „Was
meinst Du, Papa," fiel Luise ein, „wenn ich
Sechsundsechzig mit Dir spiele." — „Ein fades
Spiel!" sagte der Oberst verdrießlich. — „Ich
kann ja auch ein Bischen Skat", meinte das
Mädchen. — „Schon! Aber woher den dritten
Mann nehmen?" — „Wenn Sie mit mir vor
lieb nehmen wollen, Herr Oberst," bemerkte hier
Doktor Wehn rasch, „so stehe ich zu Ihrer Ver
fügung. Ich bin ein eifriger Skatspieler, und da
ich außerdem meine Krankenrunde beendet habe,
habe ich Zeit!" Der Oberst war hocherfreut, und
Luise hatte auch nichts einzuwenden. — „Nun
rasch essen", rief der Alte, der die Skatzeit kaum
erwarten konnte. „Sie thun doch mit, Doktorchen.
Etwas sehr einfach, Butterbrod, Wurst, Käse,
Bier." — „Mit Vergnügen, wenn Sie erlauben."
Bald war das Abendbrod eingenommen, und
Babette trug das Tischgeräthe ab. Der Doktor
war auf einen Augenblick zur Frau Oberst ge
gangen, und Luise holte auf des Papas Geheiß
Karten, Bier und Cigarren herbei. — „Der
Doktor ist wahrhaftig kein übler Mensch", sagte
der Alte halblaut. Aber Luise hatte ihn ver
standen und fügte eifrig hinzu: „Siehst Du, Papa?
Jetzt lernst Du ihn auch schätzen!" — „Dummes
Mädel, ich habe Dich um Deine Meinung gar
nicht gefragt. Außerdem möchte ich mir nach
drücklich verbitten, daß Tu dem Herrn Doktor
Deine gefühlvollen Blicke zuwirfst. Verstanden ?"
Doktor Wehn kam in diesem Augenblicke zurück,
und so i war Louise jeder Antwort überhoben.
Sie hätte auch um eine solche nicht gebangt,
denn aus den knurrenden Worten des Vaters
ging ja deutlich hervor, daß er keinerlei Ab
neigung mehr gegen den Doktor hatte. Man
setzte sich und fing an zu spielen. Der Oberst,
ein eifriger und geschickter Skatmann, hatte als
bald herausgefunden, daß Doktor Wehn ein seiner
Spieler sei. „Beim Himmel, Doktorchen," rief
er, als gerade Luise die Karten mischte, „Sie
haben's los. Das war eben ein Spielchen, das
sich gewaschen hat."
Luise war so erfreut über die Fortschritte, die
ihr Heinrich in dem Herzen des Papas machte,
daß sie — dem ausdrücklichen Verbot zuwider
— dem Liebsten einen glückseligen Blick zuwarf,
den der Doktor durch ein Kußhändchen erwiderte.
— „Aber Doktor, Schellen ist ja Trumpf, was
machen Sie denn." — „Ach so", sagte Doktor
Wehn phlegmatisch, zog die grüne Zehn, die er
irrthümlicherweise dem Gegner „gewimmelt" hatte,
zurück und warf ein kleines Schellen bei.
Nach einer kleinen Weile rief der Oberst plötzlich
empört: „Aber zum Teufel, Luise, Du hättest
keine Eckern mehr, das ist ja nicht möglich! Aha,
sieh da, Jungfer Leichtsinn!" Sv ging es fort.
Einmal bediente Luise überhaupt nicht, nicht weil
sie die Farbe nicht mehr hatte, sondern weil der
Doktor ihre Hand festhielt.
Der Oberst hatte es erst bemerkt, als das
Spiel eine halbe Minute gestockt hatte. Er
blickte über seine Karten und sah, was vorging.
„Na, da soll ja doch gleich —, Herr Doktor,
wollen Sie augenblicklich die Hand los lassen?"
brauste der alte Herr auf. Doktor Wehn war
aufgesprungen, aber er hielt Luisens schmale weiße
Rechte noch fest in seinen Händen. „Ich werde",
sagte er, den Obersten ansehend, „nicht nur diese
Hand nicht lvs lassen, sondern ich will Sie zugleich
fragen, Herr Oberst, ob Sie mir die Hand und
ihre Besitzerin für's Leben anvertrauen wollen?"
Und Luise richtete einen so flehenden Blick aus
den alten Herrn und flüsterte schmeichelnd: „O
einziger bester Papa!" daß ihm ganz weich im
Gemüth wurde und er schließlich sagte: „Was
kann man denn da machen? Nehmen Sie sie
hin und behandeln Sie mir das Kind gut.
Sonst — —"
Was er weiter sprechen wollte, erstickte, denn
Luise war dem Papa in die Arme gefallen und
bedeckte sein runzeliges Gesicht mit Küssen.
„Laß mich los", rief der Oberst endlich. „Geh'
zur Mama, da ist das besser angebracht." Und
Luise lief zur Mutter, um ihren Segen einzuholen.
Der Doktor aber füllte die Gläser und stieß
mit seinem an dasjenige des Obersten an: „Es
lebe die Influenza!" — „Sie Sakermenter!"
schalt der Alte. „Haben mich richtig drangekriegt.