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Wmdmannsheil!
Von Frida Storck.
^^s war zu der Zeit, da die Eisenbahnen
jls , noch nicht lange das Land durchkreuzten.
Oj Auf dem stattlichen Bahnhof der Residenz-
stadt Kassel hastete eine ältliche Dame ängstlich
von einem Wagen zum andern. Hinter ihr,
mit übermüthig lächelndem Angesicht, ward ihre
Nichte Gertrud sichtbar, die Fräulein Walburg,
ehr- und tugendsame Schwester des Forstinspektors
Eichner, laut Gelobnist unversehrt an Leib und
Seele im heimischen Forsthof abzuliefern hatte.
„Nein, ist das eine Ungemüthlichkeit, Kind.
Mit dieser Eisenbahnfahrerei kann ich mich mein
Lebtag nicht befreunden", jammerte Fräulein
Walburg. „Und Du sollst sehen, es passirt auch
ein Unglück. Freitag soll man nicht reisen."
„Einsteigen, bitte einsteigen!" rief der Schaffner
dringend und schob die alte Dame in den Wagen
hinein. „Sie fahren doch dritter Klasse?"
fragt er noch, als Walburg schon auf die Bank
hingesunken ist.
„Leider ja", seufzt das alte Fräulein, dem die
Angst vor dem nahenden Unglück Kopfschmerzen
macht.
Gerta ist sehr vergnügt und meint, während
sie den Schirm ltub eine Schachtel auf das obere
Brett legt: „Ich frene mich doch, dast ich es
mit der dritten Klaffe durchsetzte. Gieb acht, das
wird sehr lustig! Auf der Herreise habe ich mich
in der leeren zweiten Klasse halb todt gegähnt."
In diesem Augenblick klimmt ein hagerer Mensch
mit Hutschachtel und Regenschirm in das Coupo.
Gerta tarirt ihn sofort für einen nach Anstellung
im Pfarramt schmachtenden Hauslehrer. Be-
fcheidentlich drückt er sich in die fernste Ecke,
denn es nahen drei Männer mit Büchsen und
Jagdranzen. Sonntagsjäger, wie Gerta kon-
statirt. Drei Jagdgewehre, in unheimlich bedroh
licher Nähe —, Walburg überläuft eine Gänsehaut.
Sie macht stets einen Bogen um des Forstmeisters
Gewehrschrank. Gerta ringt tapfer gegen einen
Lachkrampf. Die Gesichter der Tante und des
Kandidaten sind urkomisch in ihrer Todesangst.
Erstere macht sich endlich Luft gegen ihren Nachbar.
„Bitte! Ihr Gewehr—, es passirt doch nichts?"
stammelt sie scheuen Blicks.
„Keine Bange, meine Dame! Es geht nichts
los, denn es ist nichts d'rin", lacht der Jäger.
Inzwischen halten Gerta's Augen Personal
musterung. Papa würde sich köstlich amüsiren
über dieses Kleeblatt. Tantens Nachbar in
froschgrünem, strapazirtem Rock, verwitterter
Schirmmütze und ledernen, über die Beinkleider
geschnürten Gamaschen, sieht besonders abenteuerlich
aus. Er ist stark gebräunt, hat funkelnd schwarze
Augen und einen Kinnbart ä la Wallenstein,
das giebt ihm etwas Verwegenes. Die Anderen
nennen ihn Major. Sein Gegenüber beseitigt
eben seine steife Halsbinde und läßt sie, auf-
athmend, in die Tasche der ausgewaschenen Joppe
gleiten. Dieser in Damengesellschast befremdliche
Toilettenwechsel wird seitens des Majors lobend
anerkannt.
„Recht so, lieber Rath! Steife Kragen hindern
die Bewegung. Besonders beim scharfen Zielen
sollte der Hals nie beengt sein. Halten Sie nur
immer auf's Blatt. Das heißt mehr nach dem
Hals hin, so." Er hebt die Büchse, aus die rechte
Haud Walburg's zielend, die, Halt suchend, den
Fensterriemen umklammert. Entsetzlich! Sie ist
mit Gerta und der ganzen Welt zerfallen und
sinkt resignirt in ihre Ecke. Da ertönt neben
Gerta die Stimme des Dritten: „Aber Herr
Major, Sie erschrecken die Damen."
„Den Teufel auch, Assessor! Der Schießprügel
ist ja leer. Denken wohl, ich vergeude mein
kostbares Blei? Hab' ohnehin nur zwei Kugeln
und drei Schrotpatronen."
„Vielleicht kann der Krämer tu Baumbach
aushelsen." *
„Hahaha! Assessor, Sie sind naiv! Danke
schön für die Sorte. Das knallt überhaupt nicht
los. Pscht! Pscht! schleicht das so in aller Ge
müthlichkeit aus dem Laus und schlängelt sich
wie'n Feuerwerkskörper durch die Atmosphäre.
Die Kreatur äßt dabei ruhig weiter. Sollt
Dings schadet nicht, das kennt sollt alter Bock
schon aus Erfahrung. Haha!"
Der jugendliche Assessor, in normaler Kleidung
wie andere Sterbliche, scheint wenig Verständniß
und mangelhafte Begeisterung für diesen Jagdzug
zu haben. Seitte braunen Augen sind vielmehr
beharrlich aus deut Anstand — nach einen Blick
seiner hübschen Nachbarin, die wiederum ange
legentlich die fernste Ecke, mithin den Kandidaten,
fixirt.
„Wo stellen Sie mich nun an, Major, und
wo soll Erich stehen?" forscht der Rath inter-
essirt. Erich, der Assessor, ist sein Nesse.
„Na, Sie werden staunen! Hochittteressattter
Stattd. Fünf, sechs Böcke gehllt da sicher 'raus.