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meister!" ertönt es keck von oben, „sind die Pistolen
noch nicht fertig?"
„Ja — eh — nein", lautet die in weniger
zuversichtlichem Tone gegebene Antwort, indeß die
andern sich einen Augenblick betroffen ansehen.
Aber nun wird es höchste Zeit! Der Unbekannte
gewinnt zuerst die Fassung wieder und schreitet
schon, die klebrigen bei Seite drängend, mit raschen
Schritten auf die verschlossene Thür zu. Dorn
ist mit einem Satze wieder unten und gewinnt,
die Frau, die im Begriffe ist, die Hausthür zu
verriegeln, unsanft bei Seite schiebend, schnell das
Freie. Ein scharfer Ritt bringt ihn bald in
wohlthuende Entfernung von dem unheimlichen
Waldhause. Doch da strauchelt plötzlich das
Pferd und ist nicht wieder ans die Beine zu
bringen. Kein Wunder, da es eins derselben ge
brochen. Dorn selbst hat glücklicherweise keinen
Schaden genommen, muß aber das Pferd im
Stich lassen und seinen Weg zu Fuß fortsetzen.
Schon bricht die Dunkelheit herein. Da horch!
ein bekannter Pfiff. Im Walde rechts und links
beginnt es sich zu regen. Ein zweiter Pfiff und
gleich darauf ein Schuß! Zwei Schüsse zu gleicher
Zeit! Dorn glaubt das Einschlagen der einen
Kugel in den Steinhaufen neben ihm deutlich zu
vernehmen. Er rafft alle Kraft zusammen und
läuft, was er kann. Doch der Vorsprung vor
seinen zum Theil noch jugendlichen Verfolgern
wird immer kleiner. Ueberzengt, daß ihnen ihr
Opfer binnen Kurzem in die Hände fallen muß,
stellen sie das Schießen ein. Da tönt ein
mächtiges Brausen an das Ohr des Verfolgten.
Ein heller Streifen wird hier und dort zwischen
Bäumen und Buschwerk sichtbar. Es ist die hoch
angeschwollene Kinzig. Die Verfolger erheben
ein Freudengeheul. Denn nun bleibt dem Flücht
ling nur noch die Wahl zwischen Gefangenschaft
oder Tod in den Wellen. Er scheint das letztere
zu wühlen. Ein kühner Sprung — und die Fluthen
des wild tosenden Baches rauschen über ihn hinweg.
Doch nicht lange dauert es, und etwas weiter
abwärts am anderen Ufer taucht er wieder auf,
ergreift einen in das Wasser herabhängenden
Strauch, zieht sich daran empor und ist gerettet.
Von den Verfolger wagt keiner den Sprung, auch
der Unbekannte nicht. Ein paar Schüsse senden
sie dem kühnen Schwimmer noch nach und, als
auch das nichts hilft, ein paar — Flüche. Dorn
wirft den dunklen Gestalten da drüben noch einen
trinmphirenden Blick zu und legt dann den Rest
des Heimwegs ohne weiteren Zwischenfall zurück.
Wie es nun den Uebelthätern erging, in welcher
Gestalt und ob überhaupt die rächende Nemesis
sie ereilte, darüber fehlt leider jede Mittheilung.
Doch scheint es damals, wie der geneigte Leser
gleich sehen wird, zum Mindesten einem Theil
derselben gelungen zu sein, sich dem strafenden
Arme der Gerechtigkeit zu entziehen.
Dorn wurde im Jahre 1802 in gleicher Eigen
schaft nach Amöneburg versetzt. Ein Jahrzehnt
mochte seit jenem Vorfalle verflossen sein, als
er eines Abends spät sich auf dem Rückweg von
einer auswärtigen Tour befand. Schon lagen
die schroffen Basaltfelsen der Amöneburg in
deutlichen Umkreisen vor ihm. Da ertönt wiederum,
in dem einsamen Wanderer nicht die angenehmsten
Empfindungen weckend, in unmittelbarer Nähe ein
schriller Pfiff. Mit einer Deutlichkeit, als sei
es gestern erst gewesen, steht ihm mit einem Male
jenes schon halb vergessene Erlebniß wieder vor
Äugen. Doch er findet nicht Zeit, lange über
die Situation nachzudenken. Noch hört und sieht
er etwa ein halbes Dutzend dunkler Gestalten
auf sich zukvmmmen. Da fühlt er einen heftigen
Schlag, und seine Besinnung ist geschwunden.
Hier fehlt es wieder an weiteren Mittheilungen.
Thatsache ist, daß Dorn im Jahre 1813 am
5. November an den Folgen jenes Schlages ver
schieden ist.
Und der Thäter? Es war, wie sich später
herausstellte, kein Anderer als jener räthselhafte
Unbekannte und dieser kein Anderer als der später
und auch heute noch so viel genannte —
Schinderhannes.
Armuth.
Von Heinrich Förster.
Frühling war ich Leiter einer Zeitung.
Jy Es giebt wenige Orte, von denen aus man
T so tief in das Leben blicken kann als vom
Redaktionstische. Ich will aber heute nichts
erzählen von den interessanten und berühmten
Persönlichkeiten, welche ich damals kennen lernte,
und nichts von hundert humoristischen Szenen,
die sich innerhalb der Wände meines Arbeits