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es für ihn kein anderes Streben, als die ihm an
vertrauten Knaben zu tüchtigen Jünglingen heran
zubilden. Sie vernahmen nie ein Wort bitteren
Vorwurfs aus seinem Munde. Er wachte mit un
nachsichtiger Strenge über sie, aber er liebte sie
auch wie ein gütiger Vater.
In regem, pflichttreuen Lehren und Lernen gingen
etliche Jahre hin. Einmal alljährlich, zur Zeit
der großen Ferien, marschirten die drei Brüder,
das Ränzel ans den: Rücken, den derben Ziegen
hainer in der Hand, gen Kassel. Es waren köstliche,
herzerfrischende Märsche für alle drei, so hinein zu
wandern in die lachende, schöne Sommerwelt, frei
von Schulsorgen unb im Vorgefühl der Wiever-
sehensfrende daheim.
Doch nur wenige Jahre war den Brüdern solch'
gemeinsames Ferienreisen vergönnt. Ein lange
befürchtetes Ereigniß, des Vaters Tod, machte ihm
ein Ende. Wenn er gleich nie so recht von Herzen
fröhlich mit den Seinen gewesen, — die Schwere
der damaligen Zeit hatte ihn niedergebeugt, ihn
ernst itrtb bitter gemacht —, so traf die Todes
kunde die fernen Söhne doch wie ein Donnerschlag.
Vor Georg's geistigem Auge erstanden die un
vermählten Schwestern, die alternde Mutter. Der
letzte Hoffnungsschimmer für sein persönliches Glück
erlosch nun vollends, er opferte seine Liebe auf
dem Altar der Kindes- und Geschwisterpflicht.
Lange saß er an jenem Abend vor dem Bilde des
theuren Todten, das er selbst vor Jahren in Oel
ausgeführt. Er gelobte ihm, sein Leben der Familie
zu weihen, zu helfen wo es Noth thäte. Das Mädchen-
bild, welches ihn bei diesem Gelöbnisse wehmüthig
bittend anschaute, durfte ihm nun nichts mehr sein.
Er zwang sein Sehnen und Hoffen nieder für alle
Zeit. Und da er sich' endlich tief ansathmend er
hob, schien ihm das strenge Angesicht des Vaters
milde, fast mitleidig. Ja, er wähnte die tiefe
Sorgensalte, welche er stets aus des Vaters Stirn
gesehen, habe sich geglättet.
Schon am nächsten Morgen schrieb er den trauernden
Lieben, daß er die älteste Schwester herzlich bitte,
zu ihm zu kommen. Die alte Magd könne nicht
gilt mehr allein wirthschaften, Schwester Philippine
müsse znm Rechten sehen. Auf solche zarte Weise
machte er es der meist kränkelnden Schwester
weniger drückend, daß er ihr in seinem Hanse eine Zn-
slncht bot. Sie kam und that, was in ihren Kräften
stand, sein bescheidenes Hanswesen behaglicher zu
gestalten. Bis zu ihrem Tode wußte sie es ihm
Dank, daß er sie zu sich gerufew. Von des Bruders
entsagender Liebe erfuhr sie erst spät, als das Mädchen,
dessen Bild nie aus des Onkels Herzen gewichen,
die Gattin eines Gerichtsbeamten, fern vom Weser-
strom, geworden war.
Und wie hielt Georg sein Gelöbnis; hinsichtlich der
Brüder? Was ihm versagt gewesen, nach dem
Lorbeer des Künstlerruhms zil streben, das wollte
er Wilhelm gewähren. Mit Opfern, die er selbst
sich auferlegte, ermöglichte er dem Kunstbegeisterten
den Aufenthalt in Düsseldorf und München. Tie
Lehrer dort lobten Wilhelms Talent, seine schöpferische
Phantasie. Er war fleißig und strebsam und ent
warf Skizzen, die zu beit schönsten Hoffnungen
berechtigten. Diese Berichte warfen hellen Sonnen
schein in das Heim der Geschwister.
Aber es schien, als solle dem opferwilligen Bruder
kein ungetrübtes Glück blühen. Es kamen Briefe,
die ihn mit Sorge erfüllten. Wilhelm sei lungen
leidend, sagten die Aerzte in München. Im geregelten
Familienleben wäre der Todeskeim vielleicht nur
Keim geblieben. Das etwas regellose, flotte Leben
der jungen Künstler dagegen war wenig geeignet,
ihn zu ersticken. Ter leicht entflammte Jüngling
gerieth, ohne daß er es eigentlich gewollt, immer
wieder in das Treiben der Freunde hinein. Und
er hatte deren nicht wenig. Verstand er doch mit
wenig scharfen Linien, btt treffendsten Karrikatnren
auf's Papier zu zaubern. Manch' eine politisch
berüchtigte Persönlichkeit ward von seinem satirischen
Stift charakteristisch skizzirt. Abgelenkt durch
politische Umtriebe, konnte sich sein künstlerischer
Genius nicht voll entfalten. Besonders zu der
Zeit, da er, einer der Eifrigsten unter den für die
Sache der Freiheit glühenden und in ihrem Dienst
wirkenden Genossen, in intime Beziehungen zu
Robert Blum trat, mußte die Kunst anderen
Interessen weichen.
Nur wenige große Bilder sind von ihm aus
den Markt gekommen. Die meisten historischen
Skizzen sind Entwürfe geblieben, deren Ausarbeitung
ihm nicht mehr vergönnt war.
Die Nachricht seines Todes traf die Geschwister,
wenn auch nicht unvorbereitet, so doch nicht minder
erschütternd. Wieder legte das Schicksal Georg
einen Verzicht ans ; all'seine freudigen Hoffnungen
aus Wilhelm's einstigen Ruhm waren vernichtet,
und ein geringer Trost war es, daß in Maler
kreisen der Heimgang des talentvollen Jüngers
allgemein betrauert ward, daß die Freunde über
seinem Grabe erschütternde Abschiedsworte gesprochen
hatten.
Wohl versagte auch Georg nicht warmen patrio-
tischen Antheil dem, was der Hingeschiedene erstrebt
und ersehnt, ein einiges Deutschland, das freies, stolzes
Nationalgesühl erheben sollte über alle inneren
und äußeren Feinde; dennoch beklagte er es, daß
dieses schöne Talent in den Strudel der Leiden
schaften gerissen worden, wo es keinen Gedanken an
Ruhe, Schonung und Vorsicht mehr gab. Weh-