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Waldmii-chens Morgenlird.
Ihr Vögelein
Im Frührothschein,
Wie hell und klar
Singt eure Schaar
An Gottes großem Weihaltar!
Ihr Blümlein auch
Im Morgenhauch,
Schaut nur empor
Zum Himmelsthor,
Draus zieht die gold'ne Sonne vor!
Was lebt im Wald
Gar mannigfalt,
So groß wie klein,
Es lobt allein
Des Herrgotts Huld im lichten Mai'u.
Auch du, mein Herz,
Schweb' himmelwärts
Im Jubelchor
Durch's gold'ne Thor
Zu Gottes heil'gem Thron empor!
Mthekm Uennccke.
Aus alter und neuer Zeit.
Die lebendige Mauer. Als Kaiser Friedrich
der Rothbart das vom Landgrafen Ludwig dem
Eisernen 1170 errichtete Schloß Naumburg be
suchte, rühmte er diesen Bau in vollem Maße,
konnte aber nicht verschweigen, daß es einem An
griff nicht widerstehen würde, weil es zu seinem
Schutz keine festen Mauern habe. Diesem Mangel
versprach der Landgraf binnen dreien Tagen ab
zuhelfen, in welcher Zeit eine widerstandsfähige
Mauer dem Kaiser hingestellt sein würde. „Un
möglich", sprach der Kaiser, „und wenn auch der
Landgraf alle Maurer des Deutschen Reiches auf
bieten würde". Indeß ließ der Landgraf sich nicht
irre machen und schritt an die Ausführung seines
Planes. Er forderte nämlich alle Ritter und
Lehnsgrafen alsbald auf, so schnell wie nur möglich
mit ihren Mannen wvhlbewehrt an: dritten Tage
im Morgengrauen nach der Bürg Naumburg zu
kommen. Und sie kamen Alle, Alle. Darauf läßt
der kluge Landgraf die Mannen gleich einer Mauer
dergestalt um das Schloß Ausstellung nehmen, daß
an der Stelle, an welcher ein Thurm sich befinden
sollte, ein Ritter, ein Schlachtschwert in der Hand,
mit dem Panier stand. Als nun diese lebende
Mauer wohlgeordnet und fest gefügt um das Schloß
geführt war, fragt der Landgraf an, ob die
kaiserliche Majestät sich überzeugen wollte, daß
das Versprechen innerhalb der festgesetzten Frist
gehalten sei. Obwohl er das Ganze nur für einen
Scherz hält, entschließt sich der Kaiser doch zu
einer Besichtigung der Mauer. Aber wie groß
war sein Erstaunen, als er diese Ritter mit ihren
Reisigen in Wehr und Waffen sieht, und verwundert
rief er aus, alle Tage seines Lebens habe er keine
so zierliche, theuere und starke Mauer gesehen.
Mit kaiserlichem Dank für die ihm vor Augen
geführte lebendige schied er vom Landgrafen. — Die
hier geschilderte Handlung wird irrthümlich nach
Naumburg an der Saale verlegt. Aber ihr Schau
platz ist Naumburg an dem Flüßchen Elbe im
Kreis Wolfhagen.
Aus Hermath und Fremde.
Der Kommunallandtag wird voranssichtlich
am 27. Oktober in Kassel zusammentreten.
In Fulda steht die Gründung eines „Fuldaer
Geschichtsvereins" bevor. Der Gedanke findet
in denjenigen Fuldaer Kreisen, die sich für die
Geschichte der alten Bischofsstadt interessiren, großen
Anklang. — Mit dem Plane, Rotenburg a. F.
zum Luftkurort zu niachen, geht es vorwärts. Es
ist zur Anlage eines Kurhauses der sogenannte
Höberück ausersehen und von einer dem Unter
nehmen geneigten Seite bereits ein Platz unent
geltlich zur Verfügung gestellt worden.
Einige Einwohner der Stadt Kassel haben,
wie wir der „K. Allg. Ztg." entnehmen, an die
Stadtverwaltung die Bitte gerichtet, die in der
Altstadt so vielfach bestehenden Straßennamen
mit „Gasse" in solche mit „Straße" umzu
ändern, da die Bezeichnung „Gasse" den modernen
Verhältnissen nicht mehr entspreche und die betreffende
Straße in dem allgemeinen Ansehen herabsetze.
Die Stadtverwaltung hat dies Ansinnen abgelehnt
lind sich auf den Standpunkt gestellt, daß es durch
aus wünschenswerth sei, die seit Jahrhunderten
bestehenden altehrwürdigen und historischen
Straßennamen unverändert beizubehalten,
zumal das gutdeutsche alte Wort Gasse die Werth
schätzung für eine Straße gewiß nicht vermindern
könne. Auch in anderen deutschen Städten sei
man bestrebt, die alten Straßennainen beizubehalten.