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Meine Meise nach Stettin im Jahre 1866.*)
onntag den 24. Juni faßte ich den Entschluß,
nach Wilhelmshöhe zu reisen, und da wir
wenig von der dortigen trostlosen Lage wußten,
so hoffte ich, ohne Hinderniß bei Papa sein zu
können. Ich fuhr**) nach Frankfurt a. M. zu dem
französischen Gesandten, le Comte de Ricnlot,
und ersuchte ihn, mir behülflich zu sein, um mit
Sicherheit reisen zu können, und sehr zuvorkommend
versprach er, die geeigneten Schritte zu thun. Den
folgenden Tag erkundigte ich mich nach dem Erfolg
seiner Bemühungen und hörte durch ihn und den
holländischen Gesandten von Sch aas, daß ich
wahrscheinlich mit bedeutenden Schwierigkeiten zu
kämpfen haben würde, um bis nach Wilhelmshöhe
zu gelangen. So entschloß ich mich, an den König
von Preußen direkt zu telegraphiren, um mir
seine Genehmigung für mein Ziel einzuholen.
Die deutschen Telegraphenlinien waren jedoch
zerstört, das Telegramm mußte seinen Weg über
Paris und Brüssel nehmen, und da die Antwort
voraussichtlich lange ausbleiben würde, wollte ich
dieselbe nicht abwarten, sondern nach Kassel ab
reisen und sie mir dorthin nachsenden lassen.
Mit Senator Berausch) fuhr ich zu dem englischen
Gesandten Sir Alexander Malet und bat
um einen Paß, den er mir mit größter Bereit
willigkeit ausfertigte; darauf kehrte ich Nachmittags
nach Hanau zurück, ließ einen Reisewagen packen,
nahm Abschied von den Meinigen und reiste
Abends 8 Uhr ab. Nach 11 Uhr war ich in
Wächtersbach, wo ich meine schlafenden Kinder
*) Die im Jahre 1887 verstorbene Verfasserin, Ihre
Durchlaucht die Fürstin Auguste von Isenburg
und Büdingen in Wächtersbach, die älteste Tochter des
Kurfürsten Friedrich Wilhelm I., hat diese Reisebeschreibung
in Urschrift mit der Bestimmung in vertraute Hände
gelegt, sie s. Zt. zu veröffentlichen. Von dieser unserm
Blatte befreundeten Seite wurde sie uns zur Verfügung
gestellt, und wir machen von der Erlaubniß der Ver
öffentlichung um so lieber Gebrauch, als es sich um einen
Beitrag zu einer historisch wichtigen Epoche unserer
vaterländischen Geschichte handelte. An einzelnen Stellen
haben wir den Inhalt ergänzende Anmerkungen hinzugefügt.
D. Red.
**) Die Fürstin hielt sich damals in Hanau auf.
f) Freiherr von Bernus in Frankfurt.
küßte, einige Anordnungen traf, um nach einer
Stunde meine Reise fortzusetzen. In zwei Stunden
war ich in Birstein, blieb leider länger als ich
wollte bei den Damen dort, da es lange dauerte,
bis ich Pferde bekam. Nun ging es über den
Vogelsberg nach Lauterbach, Alsfeld, und um
12 Uhr den 26. Mittags kam ich in Ziegenhain
an; ich fuhr an das Haus der alten Drey dorfs*),
und dort erfuhr ich, daß Papa schon den Sonnabend
vorher Wilhelmshöhe als Gefangener hatte ver
lassen müssen. Es hieß, er sei nach Küstrin ge
bracht, und nicht einmal konnte man mir sagen,
wer ihn von seiner Umgebung begleitet habe.
Mein Entschluß, ihm zu folgen, schwankte keinen
Augenblick. Ich schrieb an Ferdinand**), er
suchte den Landrath***), den Brief in schnellster
Weise zu befördern, und so bald ich Pferde hatte,
die der Domainenpächter mir freundlich anbot,
reiste ich weiter über Wabern nach Kassel. Auf
dem ganzen Weg waren keine Soldaten zu sehen
gewesen, im Dorfe Niederzwehren fand ich die
ersten. Ich passirte diese sowie die Wache am
Frankfurter Thore, ohne angehalten zu werden,
und fuhr um 7 Uhr durch die Friedrichsstraße
an das Hofthor des Fürstenhauses, wo ich aus dem
Wagen sprang und zu Herrn von Heeringench)
eilte. Bei ihm erfuhr ich die widerrechtliche,
schmähliche Behandlung chch), die Papa und seine
Umgebung hatte ertragen müssen, schweige aber
über die Einzelheiten, da schon andere Federn
dieselben niedergeschrieben haben. Ich ließ Ober
stallmeister von Eschwege bitten, zu kommen,
und er besorgte mir einen Paß des französischen
Gesandten Grafen Boudh nach Stettin, wohin
man, wie ich jetzt hörte, Papa gebracht habe.
*) Bürgermeister von Ziegenhain.
**) Gemahl der Fürstin, den noch jetzt regierenden
Fürsten.
***) Otto von Gehren,
t) Damals Oberhofmarschall.
tt) Hier ist offenbar die Behandlung seitens eines
preußischen Hauptmanns v. L. gemeint, die damals in
Kassel vielfach besprochen wurde und selbst den Unwillen
des preußischen Gesandten, Generallieutenants von Roeder,
erregte.