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©öfter tu Hanau geführten Untersuchungsakten
gegen Lieutenant v. B. mir zum Gutachten und
Berichtsentwurf in Bezug auf das eingereichte
Begnadigungsgesuch zutheilte. Aber weder das
Garnisons-Gericht noch das Generalauditorat
fanden Anhaltspunkte, aus welche gestützt sie den
Berurtheilten der landesherrlichen Gnade empsehlen
zu können glaubten. Ihm wurde auch keine
Begnadigung zu Theil, und so starb er denn,
nachdem er den größten Theil der ihm zuerkannten
Strafe auf der Bergveste Spangenberg verbüßt
hatte, an einer langwierigen Krankheit in der
Heilanstalt zu Bettenhausen bei Kassel. F. Weis
aber hatte es für gut befunden, den Staatsdienst
auszugeben und nach Nordamerika auszuwandern.
Als Beispiel für das oft gerühmte gute Ge
dächtniß des Kurfürsten Friedrich Wilhelm mag
beiläufig erwähnt werden, daß derselbe bei Gelegen
heit des Vortrags des Kriegsministers wegen
meiner Anstellung im Staatsdienst diesen fragte,
ob ich derselbe sei, der, — zwölf Jahre waren
seitdem verflossen —, mit Lieutenant v. B. in
Fulda das Rencontre gehabt habe.
Und was wurde aus ihm, der die Veranlassung
des Vorfalls und meiner zweimaligen Verwundung
war, aus N. Weß? Aus dem hochaufgeschossenen
Penal ward ein stattlicher Priester, später Kaplan
an der Dompfarrei in Fulda und beliebter
Kanzelredner, dessen Predigten vorzugsweise von
deit Frauen sehr eifrig besucht wurden. Dieser Um
stand veranlaßte den Medizinalrath Dr. Schwartz,
den Verfasser der „Buchenblätter", zu den damals
oft wiederholten Worten: „Weswegen geht Ihr
Frauen so oft und gern in die Predigten im
Tom? Weß wegen!"
Allzufrüh entriß der Tod den trefflichen Mann
seinem Wirkungskreise. Schon Anfang der
Sechziger segnete er das Zeitliche. Mein Wieder
sehen mit ihm war aber ein ebenso ungewöhnliches
als für mich schmerzliches. Als ich nämlich bei
meiner Anwesenheit in Fulda im Jahre 1882
einen Spaziergang machte, führte mich der Weg
bei dem vorstädtischen Todtenhof, dessen Eingangs
thor offen stand, vorüber. Dort fand ieh beim
Eintritt den alten Todtengräber mit Herrichtung
einer Grabstätte beschäftigt und zu diesem Zweck
ein altes Grab, in welches vor zwanzig Jahren
eine Leiche beerdigt worden war, auswerfend.
Schädel und Knochen waren bereits an die
Oberfläche gelangt und lagen auf der heraus-
geschaufelten Erde. Ich fragte den Todtengräber,
ob er mir iticht die Stelle auf dem Friedhof
angeben könne, an welcher die letzte Ruhestätte
des Domkaplans Weß sich befände. Da zeigte
der alte Mann auf die aus der Tiefe soeben
herausgeworfenen Knochen und den daneben
liegenden Schädel und sagte in trockenem Tone:
„Do eße!" (Da ist er!) Die zwanzig Jahre
alten Grabstätten müßten ausgeworfen, um beim
Mangel an Raum zu weiterett Bestattttngen
benutzt zu werden.
Wehmüthig warf ich den Ueberresten des so
früh verschiedenen Freundes einen letzten Blick
zu und entfernte mich gepreßten Herzens vom
Orte der Ruhe und des Friedens mit der Bitte:
„Das ewige Licht erleuchte ihn!"
Frankfurt a. M.
I. S.
Von Wilhelm Ben necke.
1.
Sprach die Mutter einst ztt ihrem Kind,
Das um Mitternacht noch emsig spinnt:
„Sag', Mariechen, von den Burschen allen
Welcher hat am besten Dir gefallen?"
Sprach Mariechen: „Vott dett Burschen allen
Haben drei am besten mir gefallen:
Konrad Jäger, dessen Horn erschallt
Gar so lustig durch den grünen Wald;
Heinrich Gärtner, dessen Blumenpracht
Mir so wonnig in die Augen lacht;
Doch mein Herz am allerschönsten fitidet
Armen Hans, der Weidenkörbe bindet."
Traurig sah die Mutter vor sich nieder,
Seufzend hob deut Mädchen sich das Mieder.
Maifest war. Die Geigen klangen,
Burschen ihre Mädchen schwangen
Und ihr Tollen und ihr Rasen
Aergert Muhmen rings und Basen,
Denn sie halten solch' Gebahren
Würdig nur für Teufelsschaaren.
Und Mariechen mit dem Gärtner tanzte,
Der ihr Maien früh vor's Fenster pflanzte.