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breiten Stein, dessen unterer Theil in Form eines
Nadelöhrs ausgehöhlt ist. Kolbe giebt in seinen
„Hessischen Volkssitten" nachstehende Erklärung
für die Entstehung des Steines. Bei unseren
heidnischen Vorfahren war die Eiche dem Donar,
als Heilgott, geweiht. Jeden Eichbaum dachte man
als Sitz dieser Gottheit. Die von der Natur
ausgehöhlten Eichen wurden als Heilstätten für
Kranke, insbesondere sür Bruchleidende, betrachtet.
Man nannte solche hohlen Eichen, deren es damals
nicht wenige gab, „Nadelöhr". Das Heilverfahren
wär sehr einfach und bestand darin, daß der Kranke
sich vor Sonnenaufgang stillschweigend an Ort
und Stelle begab lind „unbeschrieen", d. h. ohne
daß Jemand ihn anredete, dreimal durch das Nadel
öhr kroch. Von diesem Durchkriechen der Höhlung,
als denl Ausdruck der Unterwerfung unter die
Allmacht der Gottheit, erhoffte man die Wieder-
genesung des erkrankten Leibes. — Noch jetzt trifft
man hie und da Waldorte an, die beit Namen
„Nadelöhr" führen ltnb dadurch andeuten, daß
dort solch heilkräftige Eichbäume gestanden haben
müssen, so z. B. bei Speckswinkel und Mengsberg
in Oberhessen. Auch im Süllingswald, an der
Straße von Friedewald nach Hönebach, stand ein
weit und breit berühmter Baum, welcher das
Nadelöhr hieß und zu solchem Heilgebrauch diente.
Bis weit in das christliche Zeitalter hinein ragte
diese Ruine ans heidnischer Zeit, bis der Baum
endlich vor Alter verfiel. An der Stelle, wo er
gestanden, ließ Landgraf Moritz einen Gedenkstein
in Form eines Nadelöhres errichten, das jedoch
nur zu Volksbelustigungen diente, und Viele, die
im Laufe der Jahre des Weges kamen, sind wohl
durch die Oeffnung gekrochen, ohne zu wissen, welche
Bedeutung dieser Handlung früher beigelegt wurde.
Beim Abbruch des Inneren des jetzigen könig
lichen Hoftheaters zu Kassel haben sich
hinter der Holzbekleidung an einer Wand des ersten
Ranges vier Theaterzettel aus den Jahren
1814, 1815, 1816 und 1832 durch die daselbst be
schäftigten Handwerker vorgefunden, welche sür
unsere hessische Geschichte von historischem Werth
sind und der hiesigen Landesbibliothek überwiesen
wurden. Dieselbe hat, dem „C. T." zufolge, die
Dokumente dankbar entgegengenommen, umsomehr,
als diese in der bestehenden Sammlung seither
nicht vorhanden waren. Einer der Zettel enthielt
die Ankündigung der denkwürdigen ersten Auf
führung von Beethovens „Fidelio" als Festvor
stellung zur Geburtstagsfeier des Kurfürsten
Wilhelm I. am 6. Juni 1816. Der Entdecker
dieser interessanten Dokumente wurde von Seiten
des Vorstandes der Landesbibliothek mit einem
Dankschreiben beehrt.
Aus Ooimath und Fremde.
In Hersfeld findet am 1., 2. u. 3. Juli
- also ziemlich gleichzeitig mit dem Sängerfest —
die 4. Wanderversammlung des Ver
bandes hessischer Bienenzüchtervereine
statt. Mit ihr ist eine Fachausstellung von lebenden
Bienenvölkern, Honig, Wachs, bienenwirthschaftlichen
Gerüchen und Lehrmitteln, sowie eine Verloosung
(3000 Loose a 50 Pf., 338 Gewinne) verbunden.
Die besten Leistungen der Aussteller werden mit
Diplomen und Geldpreisen prämiirt. Versamm-
lungs- und Ausstellungslokal ist die Restauration
Bolender.
Gemäldeausstellung in Marburg. Der
rastlosen und aufopfernden Thätigkeit des Herrn
Oskar Ehrhardt ist es gelungen, eine statt
liche Anzahl von Gemälden (wohl an 200) zu
vereinigen und so den Bewohnern Marburgs
zum ersten Male die Freude einer eigenen
Kunstausstellung zu bereiten. Es ist bei der
Zusammenstellung der Bilder mit ebenso viel Ge
schick als Umsicht verfahren worden, so daß die
kleine Sammlung von jedem Gebiet der Malerei
und aus den verschiedensten Zeiten Proben giebt
nnb so dem sinnigen Beschauer nicht nur Ab
wechslung sondern auch eine belehrende Uebersicht
gewährt.
Von Leonardo da Vinci, Albrecht Dürer, Rem-
brandt, van Dyk, Giulio Romano, Tischbein,
Gabriel Max herab zieht sich der Kreis bis zu
Theodor Mattheit neuestem Genrebild. Historie,
Porträt, Genre, Landschaft, Thierstück, Architektur
sind vertreten und neben der alten, gediegenen
Kunstrichtung die modernste. Es ist nicht meine
Ausgabe, hier die Gesammtausstellung kritisch zn
würdigen, doch der zahlreichen dem Hessenlanu
entstammenden Aussteller will ich mit einiged
Worten gedenken.
Wir finden da Theodor Matthei, Johannes
Kleinschmidt, L. Katzenstein, v. Volk mann,
K l i n g e l h ö s e r, Z i m m e r m a n n, V a n tz e r,
Ubbelohde, Schürmann, Bauer, Dauber,
Clans, Jenich in reicher Abwechslung und in
meist trefflichen Werken vertreten, so daß wir aus
unsere heimische Künstlerschaft mit freudigem Be
hagen blicken dürfen. Nächst Klingelhöfer selber
ist auch seine Schule, durch vortreffliche Arbeiten,
zum Theil Kopieen älterer Meisterwerke, der Damen:
Fräulein Pfeffer, Fräulein Eichler, Fräulein
Krug, Fräulein Poppel bäum stattlich re-