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dem Einmarsch der Bundesexekutionstruppen in
das Hessische mit bewaffneter Hand begegnete;
wie in Folge dessen die Preußen die durch das
Hessische (bei Hersseld) führende Etappenstraße,
welche die getrennten preußischen Gebietstheile
verband, besetzten und von da mit einem Armee
korps einen Vorstoß nach Fulda machten; wie
in dessen Nähe, bei dem Dorfe Bronzell, dieses
Armeekorps in Fühlung mit den vorrückenden
Oesterreichern kam und die „große Völker
schlacht von Bronzell" geschlagen wurde,
die den Oesterreichern etliche verwundete Jäger,
den Preußen aber den berüchtigten „Schimmel
von Bronzell" kostete und die zu der schließ-
lichen Verständigung führte, wonach die Preußen
sich zurückzogen, die Exekutionstruppen dagegen
unbehindert ihre Sendung vollzogen. —
Am Vortage des Einmarsches der Bayern, —
es war ein allgemeiner Ruhetag —, ging es
äußerst lebendig an der Table d’hote in dem
Gasthofe zum Rautenkranz in Eisenach, die
ausschließlich von jüngeren bayerischen Offizieren
und Aerzten besetzt war, her. Noch zeugten die
Ueberreste der Knödelgerichte, daß von dem Gast
hofbesitzer der volksthümlichen Geschmacksrichtung
seiner Gäste Rechnung getragen war, was diese
wohl in die gute Laune versetzt haben mochte, in
der sie sich befanden, und in der sie die schaum
bedeckten Krüglein mit dem dunkelen Münchener
fleißig kreisen ließen. So wurde die Stinimung
eine immer heiterere und machte sich in launigen
Einfällen und Gesprächen Luft. Was lag da
näher, als daß der am nächsten Morgen statt
findende Einmarsch in „das Land hinter
den roth weißen Pfählen", sowie das Volk,
das darin hauste, Gegenstand lauter Erörterung
war. Die Herrchen packten ihr ganzes geo
graphisches Wissen aus, und hätte man ihren
Schilderungen Glauben schenken dürfen, so War
den jungen Helden ein zweites Sibirien mit
einer Bevölkerung in Sicht, die arm wie die
Kirchenmäuse und roh und ungehobelt wie
Koffern und Hottentotten war. Die bekannten
Schauerverse über Land und Leute, die man wohl
dem „tippelnden" Bruder Straubinger auf der
Landstraße nachsieht, mußten herhalten, obwohl
sie sich aus dem Munde der jungen Herrchen
wunderlich genug anhörten.
Vor Allen war es ein junger Chevauxlegers-
lieutenant, der sich darin besonders hervorthat,
und, indem er, selbstgefällig das kleine Bärtchen
auf der Oberlippe zwirbelnd, in dein bekannten
Kravattentone näselte: „Eh bien, Leberknödel
famos! Pyramidal geschmeckt! Kann's halt
aushalten morgen. Wer weiß, wie's kommt;
denn
Im Lande zu Hessen,
Haben's große Schüsseln und wenig zu essen."
„Besser wenig wie gar nichts, wenn das
Wenige nur gut und von Geschmack ist", ent-
gegnete dem Sprecher der neben ihm sitzende Arzt.
„Pah, wenig? So gut wie nichts, Kamerad!
Riesig armes Land! Kannibalisch vom Herrgott
vernachlässigt! Wann bei uns der Bauer das
Korn schneidet, schnitzeln sie da drüben Heidel
beeren zum Wintervorrath, und
Wann Schlehen und Grundbirn nicht gerathen,
Haben's in Hessen nichts zu sieden und braten."
Ein beifälliges Bravo und Gelächter der ganzen
Tafelrunde lohnte dem Sprecher, der seinerseits,
nun einmal in diesem Fahrwasser, das Krüglein
erhob:
„Prosit, Kameraden! Es geht doch halt nichts
über bayerischen Durst und bayerischen Schluck!
Lasset uns trinken, so lange wir haben. Morgen
geht es in das Land, wo — der natürliche Essig
wächst und man ihn als Wein aus großen
Krügen schlürft. Puh,
Große Krüge, saurer Wein;
Wer möchte gern in Hessen sein?
Eh bien, Kameraden! Spület das Graulen
hinunter! Es lebe das Münchener!"
„Es lebe das Münchener!" echote die Tafel
runde.
Noch war das Ausstößen der geleerten Krüge
und das Klappern der zuschlagenden Zinndeckel
nicht verhallt, da erhob sich lang und langsam
hinter der Wollgardine in der Fensternische, wo
er bislang unbeachtet verweilt hatte, ein Mann
von übergewöhnlicher Größe von dem Stuhle,
eine stattliche, riesige Gestalt — jeder Zoll ein Mann,
— gegen welchen sich die jungen Lieutenantchen
ausnahmen wie die Bleisoldaten einer Nürnberger
Spielschachtel, griff das Bierglas vom Fenster
simse auf und trat festen Schrittes und in stolzer
Haltung zu der Tafelrunde heran, sich als der
Rittergutsbesitzer von Kutzleben aus Wommen
vorstellend.
Die Nennung des Namens wird allein schon
genügen, allen denen, die beit Mann von An
gesicht zu Angesicht gekannt haben, eine Gestalt
vor die Augen zurückzurufen, die das bekannte
Gardemaß bei Weitem überschritt und von einer
solchen Wohlbeleibtheit war, daß sie das Urbild
zu Bürger's Abt von St. Gallen hätte sein
können, einer Gestalt, der dasj frische rothe Gesicht
den Stempel urwüchsiger Gesundheit ausdrückte
und dem Beschauer allsogleich sagte, wo Barthel