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es nur, um den lauernden Zug in ihrem Gesichte
zu verbergen. Als sie sich emporrichtete, sah sie
wieder genau so scheinheilig aus wie vorher.
„Ja, da muß ich erst meine Kräuter fragen,"
sagte sie rn schleppendem Tone, „wollt Ihr warten
oder wiederkommen?"
„Ich warte", sagte Rona mit glänzenden
Augen. — Schwerfällig erhob sich Sauna und
kroch in ihre Hütte. Rona wußte, daß sie ihr
nicht folgen durfte. —
Es dauerte nicht lange, bis die Kräuterfrau
mit einer kleinen Pfanne voll dampfender Flüssig
keit wieder aus ihrem Häuschen trat —, sie hatte
den Pflanzensaft immer vorräthig in Gläsern
und unterhielt stets ein glimmendes Feuer auf
ihrem Heerde. Mit wichtiger Miene hinkte sie
auf ihren Schemel zu, setzte sich und hielt sich
die winzige Pfanne dicht unter die schwarzen
Augen.
Mit gespannter Aufmerksamkeit folgte Rona
ihrem Treiben.
„O!" rief die Alte plötzlich mit erkünsteltem
Bedauern, „ich sehe Haß, Haß, der schöne Ritter
ist Euch nicht gut gesinnt, hält Euch für böse,
denkt, Ihr habt kein Herz, liebt nur Euch selber!
Doch was sehe ich nun? — nach langer Zeit
wird er Euch endlich lieben, aber Ihr müßt noch
gar viele Male den Burgberg auf- und nieder
steigen, und eine große Wandlung muß noch
mit Euch vorgehen —." *
„Aber was soll ich thun, seine Liebe zu ge
winnen?" forschte Rona athemlos.
Die Alte lächelte seltsam. „Ihr müßt Gutes
thun, Arme besuchen, Kranke pflegen, Trost in
elende Hütten tragen, und an dem Tage, an
welchem Euch ein armseliges Menschenwesen
einen , Engel der Barmherzigkeit' nennt, werdet
Ihr die Braut des Geliebten werden." — Sanna
wußte genau, welchen Abscheu das stolze Burg
fräulein vor Krankheit und Elend hegte, wie
schrecklich es ihr war, mit niederen Leuten in
Berührung zu kommen. Sie selber hatte nur zu
oft den unbändigen Hochmuth Rona's empfunden
und haßte die Jungfrau ebenso sehr, wie dieselbe
von allen anderen Thalbewohnern gehaßt wurde.
Deshalb nannte sie ein Mittel, von welchem sie
wußte, daß es Rona peinlich sein mußte.
Diese hielt sich auch mit den beiden schönen
Händen die kleinen Ohren zu und rief unwillig:
„Hört auf, alte Hexe, dieses Mittel werde ich
niemals gebrauchen!"
Sanna lachte kalt. „Das thut mir leid," sagte
sie spöttisch, „dann werdet Ihr nie Euer Ziel
erreichen!"
„Giebt es kein anderes Mittel?"
„Nein," versetzte das Krüuterweib in bestimm
tem Tone, „dies ist das einzige."
Im Thale wußte man nicht, was mall zu
Rona's plötzlicher Wohlthätigkeit sagen sollte.
Das Fräulein besuchte täglich die ärmsten Hütten,
trug eigenhändig ganze Körbe voll köstlicher
Speisen zu den Kranken, und warf mit Geld um
sich her, als hätte ein Fieber der Barmherzigkeit
sie erfaßt.
Die Leute schüttelten die Köpfe. „Das geht
nicht mit rechten Dingen zu," meinten sie be
denklich, „so plötzlich hat sich noch kein Mensch
geändert. Freundlich ist sie auch nicht dabei, es
kommt ihr nicht von Herzen!"
Und das war die Wahrheit. Rona that zuerst
Alles nur aus eigennützigen Gründen; sie that es
ohne Liebe zum Nächsten. Ihr Herz öffnete sie
der Armuth nicht, aber ihren Blick konnte sie nicht
vor ihr verschließen. Zum ersten Male sah sie,
wieviel Elend und Kummer aus Erden wohnt. —
Daß es so schlimm sein könne, hatte sie nicht
geahnt. So erglühte doch langsam, unmerklich
ein Funke des Mitleids in ihrer Seele. Bald
fand sie es gar nicht mehr so schrecklich, eigen
händig wohlzuthun, gar nicht mehr so unmöglich,
ein Wort des Trostes zu spenden, und eilte nicht
mehr, wie gejagt, von dannen, sobald sie ihre
Körbe in den Krankenstuben niedergestellt hatte.
Auch die Leute fürchteten sie nicht mehr; unter
dem Aufdämmern einer dankbaren Verehrung
schwand der Haß gegen das schöne Burgfräulein,
wie das Dunkel unter den Blicker: der Sonne
schwindet. Bald that Rona ihre guten Werke
aus wahrhaftem Herzensdrang —, sie hatte nie
geahnt, wie schön es ist, in den leuchtenden
Augen seines Nächsten herzliche Liebe zu lesen,
nie geglaubt, wie sehr das schwache Dankeslächeln
eines armen Kranken beglücken kann, aber auch
nie gedacht, daß unter den einfachen Hütten
bewohnern soviel echte, brave Menschen seien. -
Ein ganz besonderer Schützling Rona's war die
Wittwe eines armen Schuhmachers. Diese war,
in Folge einer schweren Krankheit, noch so schwach,
daß sie nicht gehen konnte. Ihre einzige Tochter
Marga, ein liebes Mädchen von vierzehn Jahren,
pflegte die Mutter mit bewundernswerther Ge
duld und Freudigkeit und besorgte mit großen:
Fleiße die häuslichen Arbeiten. Immer herrschten
Ordnung und Sauberkeit in der niederen Hütte. -
Täglich saß das Fräulein an: Bette der Leidenden,
erquickte dieselbe mit kräftigen Speisen und
feurigem Wein, sprach ihr Trost zu und suchte
ihr mit munterem Geplauder die Zeit zu kürzen.