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dessen unterer Theil ausgehöhlt ist, so daß selbst
ein Erwachsener durchkriegen kann. Nebe!: diesem
Nadelöhr ist ein steinerner Opferstock angebracht,
in welchem früher eine Kasse sich befand, worin
milde Gabe:: für die Hersfelder Waisenkinder ge
sammelt wurden. Man erzählt, daß das Nadel
öhr seine Entstehung einem der alten hessischen
Landgrasel: verdanke, der zur Sommerzeit im Friede-
walder Schlosse Hof hielt und dabei in beu weit
ausgedehnten Forsten des Söllingwaldes dem edlen
Waidwerk nachging. Während dieser mit seinen
Genossen unb Gästen den Hirschen und Wildsauen
zu Leibe rückte, lag die Frau Landgräfin mit ihren
Hofdamen einer friedlicheren Beschäftigung ob.
An einer entzückend schönen Stelle aus dem Kamme
des Gebirges, mitten im prächtigen Hochwalde, war
ein Häuschen errichtet, und in und neben demselben
saßen die Damen und plauderten und — nähten.
Es muß hier schön gewesen sein, wenn zur heißen
Mittagszeit die Sonne grüne Lichter durch die
dichten Laubdächer der Bäume herabsandte auf das
bunte Moos und ein angenehmer Windhauch den
Klang der Jagdhörner von fernher herübertrug.
An dieser Stelle ließ der Landgraf, seiner Gemahlin
zu Ehren, das Nadelöhr errichten. Das damalige
Häuschen ist natürlich längst verfallen und gegen
wärtig befindet sich eine zur Aufbewahrung von
Waldarbeitergeräthen dienende Hütte am Platze,
das Nadelöhr selbst aber hat Jahrhunderte über
dauert und — könnte heute noch stehen, wenn es
nicht jüngst der Zerstörungswuth einiger fremder
Handwerksburschen zum Opfer gefallen wäre. Es
ist das geradezu unverständlich, wie Jemand Ver-
gnügen daran finden kann, einen derartigen Ge
denkstein zu vernichte!:. Es ist gelungen, die
Burschen festzunehmen und hinter Schloß und
Riegel zu bringe!:, ob aber das Nadelöhr wieder
hergestellt werden -wird, ist noch fraglich.
Aus Hermath und Fremde.
Am 8. Juni findet in Efchwege die fünfte
Versammlung des Hessischen Städtetages
mit folgender Tagesordnung statt: 1. Eröffnung
der Versammlung durch den Vorsitzenden. 2. Ge
schäftliche Mittheilungen, insbesondere Erstattung
des Kassenberichts durch den Rechnungssührer,
Herrn Bürgermeister Schöffer-Gelnhausen. 3. Partielle
Neuwahl des Vorstandes nach 8 5 der Satzunge::.
4. Ueber die zweckentsprechendste Einrichtung des
Haushaltsplanes, der Rechnungsführung und der
Kontrolle in den mittleren und kleineren Städten
des Regierungsbezirks Kassel. Referent: Herr
Stadtsekretür Boedicker-Kassel. Korreferent: Herr
Stadtkämmerer Scherzberg-Hanan. 5. Die praktische
Anwendung des Gesetzes vom 2. Juli 1875.
Referent: Stadtbaurath v. Noäl-Kassel. Korreferent:
Herr Oberbürgermeister Westerburg-Kassel. 6. Welche
Beschlüsse sind zur Ausführung des Kommunal-
abgaben-Gesetzes vom 14. Juli 1893 von den
Gemeinden zu fassen und zu welchen Beschlüssen
ist die obrigkeitliche Genehmigu::g erforderlich?
Referent: Herr Oberbürgermeister Westerburg-Kassel.
Korreferent: Herr Oberbürgermeister Schüler-
Marburg. 7. Welche Vortheile bietet die Anlage
einer nach dem heutigen Stand der Technik aus
geführten Wasserleitung den mittleren und kleineren
Städten? Referent: Herr Regierungsbaumeister
Schmick-Frankfurt a. M. 8. Einrichtung einer
Pensionskasse für Wittwen und Waisen der Ge
meindebeamten und -Diener. Referent: Herr
Bürgermeister Schöffer-Gelnhausen. Korreferent:
Herr Stadtsekretär Boedicker-Kassel.
Aus Rinteln wird berichtet: Gelegentlich der
Anwesenheit des Herrn Sanitätsrath Dr. Weiß,
des Obmannes für die Ausgrabungsarbeite!: im
Fürstenthnm Schaumburg-Lippe, hat sich hier ein
selbstständiger Zweigverein des Bückeburger
Geschichtsvereins gebildet. An die Spitze des
neuen Vereins ist der als Alterthumsfreund und
Kenner bekannte Landschaftsrath Frhr. Hilmar
v. Münchhausen getreten, die Schriftleitnng befindet
sich in den Händen des Herrn Oberstlieutenant
a. D. v. Spiegel. Die erste Sitzung, zu deren
Abhaltung der zeitige Präsident seinen durch die
stilvolle, alterthümliche Ausstattung mit dem Geiste
des Vereins harmonirenden Saal zur Verfügung
zu stellen so liebenswürdig war, verlief in der
unterhaltendsten Weise, indem Herr Sanitätsrath
Dr. Weiß mit dankenswerther Bereitwilligkeit in
fesselndem Vortrag zunächst ein anschauliches Bild
von der Lage und Beschaffenheit der in hiesiger
Gegend vorhandenen Lagerüberreste an der Hand
von Skizzen und Karten entwarf, dann genauer
auf die Unterscheidungsmerkmale der römischen,
sächsischen und fränkischen Befestigungen einging
und schließlich noch einige sehr interessante Mit
theilungen über Etymologie der Ortsnamen unserer
Grafschaft machte. — Aufgabe des neugegründeten
Vereins soll es sein, Interesse für Auffindung und
Erhaltung von Alterthümern zu wecken, resp. zu
heben, sowie durch jährlichen Beitrag der Mitglieder
eine Freilegung der noch nicht untersuchten Lager-
besestigungen unserer Gege::d zum Zweck der Fest
legung der Zeit ihrer Entstehung zu ermöglichen.