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burgs Ankunft gesagt, „unter vierzehn Tagen
gebe ich Dich also nicht wieder los," und als
das Mädchen hatte Einwendungen machen wollen,
war sie zornig geworden: „Meinst Du etwa,
mein Peter verstände nichts vom Reisen? lind
der sagt, in vierzehn Tagen kämst Du ebenso
gut nach Amerika wie übermorgen, er werde
schon für alles sorgen." Da hatte sich Engel
burg gefügt, ja sie hatte noch am ersten Abend
ihrer Gespielin anvertraut: „Weißt Du, wie mir
ist? Als müsse es so sein, daß ich noch eine
Weile länger in Deutschland bleibe," eine Be
merkung, zu der die Gespielin gelacht hatte: „Es
muß auch so sein, Du Siebengescheite, es muß
alles sein, was ich haben will."
Aber schon nach acht Tagen wurde der Engel
burg eine andere Bestätigung dafür, daß es habe
„sein müssen." Peter kam aus dem großen
Kaufmannsgeschäft, in dem er diente, mit einer
Zeitung nach Hause. „Was sagt ihr dazu, wenn
ich euch etwas aus euerm Dorfe zum besten
gebe?" und er entfaltete das Blatt und las
etwas holperig und langsam, aber gerade darum
recht verständlich: „M. den 20. September.
Unser Dorf wurde vorige Nacht durch eine grause
Unthat erschreckt. Der in unserer ganzen Gegend
wohlbekannte Handelsmann Markus wurde von
mehreren aus dem Wirthshaus heimkehrenden
Bauern mit einem Messer in der Brust im
Mühlbach aufgefunden. Alle Wiederbelebungs
versuche waren umsonst. Als Mörder bezeichnet
wird der Müller I. S., welcher, wie man hört,
in sehr zerrütteten Verhältnissen lebt. Er ist
deshalb auch als des Verbrechens dringend ver
dächtig, bereits gefänglich eingezogen worden."
„So etwas schreibt wohl euer Schulmeister?"
fügte der Hausbursch hinzu, als er fertig gelesen
hatte. Er erhielt keine Antwort, und als er
verwundert darüber aufsah, gewahrte er, daß seine
Frau die Schürze vor die Augen hielt, und daß
aus Engelburgs Gesicht jeder Blutstropfen ge
wichen war. Er sollte sich bald noch mehr über
die außerordentliche Wirksamkeit des kurzen Be
richtes wundern. Schon eine Stunde später mußte
er Engelburg zum Bahnhof begleiten und ihr
eine Fahrkarte lösen, nicht nach Bremerhaven,
sondern zurück in die kaum verlassene Heinmth,
und das Mädchen sagte abschiednehmend zu ihm:
„Peter, das lohn' Dir Gott, daß Du uns die
schlimme Geschichte vorgelesen hast." „Ich bin
doch sonst nicht gerade dumm," meinte er darum
auch kopfschüttelnd am Abend, „aber was die
Engelburg dabei hat, daß sie des gefangenen
Müllers wegen noch einmal heimreist, das be
komme ich nicht heraus." Worauf seine Frau
mit einem Seufzer antwortete: „Das ist schon
zu begreifen, aber ob es ihr und ihm etwas
nützt, daß sie es thut, das bekäme auch ich für
mein Leben gern heraus."
Es giebt keine bessern Thaten als die, welche
der Mensch ohne den geringsten Zweifel vollzieht.
Engelburg kam auf der Fahrt von Bremen bis
in die Kreisstadt ihrer Heimath nicht einmal der
Gedanke in den Sinn, Julian könne vielleicht
doch der Mörder des Markus sein. Er hatte ihr
gelobt, ihm nichts anzuthun, als was er vor ihr
verantworten könne, so stand es für sie ganz
außer Frage, daß er unschuldig war. Und so
gab es auch keine zwingendere und heiligere Pflicht
für sie, als die, ihn von dem Verdachte zu reinigen,
der auf ihm lag. Wie? das wußte sie fürs
erste selbst noch nicht, aber ebenso frei wie von
dem leisesten Mißtrauen gegen Julian war sie
von irgend welcher Besorgniß um ihr eigenes
Ergehen. Sie war schüchtern von Natur; als
sie wenige Monate zuvor in einer Erbschaftssache
vor Amt zu erscheinen gehabt hatte, wäre sie am
liebsten in die Erde gesunken aus Angst vor den
Gerichtsherren, jetzt 'dachte sie weder an diese
noch an das Gerede der Leute, das ihre Heim
kehr hervorbringen würde. Wenn nur der Julia»
gerechtfertigt wurde, alles andere war ihr gleich
gültig lind Nebensache. Die Klarheit und Ent
schiedenheit, mit der Engelburg zu Werke ging,
führte sie eher zuin Ziele, als sie zu hoffen ge
wagt hatte. Wenige Tage nach ihrer Ankunft
in der Kreisstadt wurde der junge Müller ans
der Haft entlassen.
„Irren ist menschlich," sagte der Amtsrichter
zu ihm, nachdem er ihin seine Freiheit angekündigt
hatte, „und Ihr selbst thatet das Eurige, um
den Schuldverdacht zu vermehren. Aber ich will
Euch daraus keinen Vorwurf machen, es war
brav von Euch, daß Ihr ein rechtschaffenes
Mädchen nicht in Verlegenheit bringen wolltet.
Dankt es nur diesem Mädchen recht von Herzen,
daß es so unerschrocken für Euch eingetreten ist;
grüßt die Engelburg auch von mir, wenn Ihr
sie wiederseht."
Julian, der wie im Traume das Gerichts
gebäude und die Stadt verließ, brauchte nicht
lange zu warten, bis er den Gruß des Amts
richters ausrichten konnte. Wo an der Straße
nach M. ein Bildstock die Stelle bezeichnet, an
der sich der Feldweg zur Herrenmühle abzweigt,
saß Engelburg auf einem Steine und sah dem
Kommenden entgegen. Julian stieß einen Schrei
aus, als er sie erkannte, gleich darauf lag er vor
ihr auf den Knieen und schluchzte wie ein Kind
in ihren Schoß: „O Engelburg, Engelburg, was