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Dithmar'schen Familie näher und schloß mit
der ältesten Tochter, der schönen zwanzigjährigen
Philippine Dithmar (66) ein Herzens-
bündniß. Der Vater, durch alles vorhergegangene
schwer gereizt, übertrug seine Erbitterung auf den
ganz unschuldigen Giesler und verweigerte
standhaft seine Einwilligung zur Verlobung; er
ertheilte sie erst, als er nach einem Zwischen
aufenthalt in Kassel sich in seine Heimath Homberg
zurückgezogen und nachdem sich bei seiner Tochter
in Folge der vielen schweren Erlebnisse eine
bedenkliche Krankheit eingestellt hatte. Im Februar
1808 durften die Liebenden sich endlich zu Homberg
begrüßen, aber es war zu spät. Bei Philippine
hatte sich die Schwindsucht entwickelt, und sie
entließ den Geliebten mit dem traurigen Abschieds
gruß: Zum letzten Mal! Wenige Tage darauf,
am 15. Februar, hauchte sie ihren Geist aus.
Einer ihrer blonden Zöpfe wurde durch Vermittlung
ihres Bruders Wilhelm (65) an Giesler geschickt,
der ihn als theuere Reliquie sein Leben lang auf
bewahrte und, als er zu Wabern als Landrath a. D.
1859 starb, sich von seiner vollkommen eingeweihten
Gattin im Sarg in die Hände legen ließ. Dithmar
erlebte nicht das Ende der gegen ihn eingeleiteten
Untersuchung, er starb bald nach seiner Tochter
am 28. April 1808 zu Homberg. Im Jahre
1812 wurde verfügt, daß sein ganzes hinterlassenes
Vermögen eingezogen werden sollte, doch ist es
entweder in Folge eines Bittgesuchs seiner Kinder,
namentlich seines in westphülische Kriegsdienste
getretenen Sohnes Karl (67) oder in Folge der
Ereignisse von 1813 nicht eingezogen oder wieder
herausgegeben, da seine Kinder sich später im
ungestörten Besitz des Vermögens befanden. Ueber
den Ausgang des Prozesses ist nichts bekannt.
Karl Dithmar's Kinder siehe 65—69.
62. Johann Wilhelm Dithmar wurde am
5. November 1757 zu Homberg geboren, studirte
die Rechte und erwarb sich am 2. März 1780
unter dem Vorsitz des Professors Johannes
Hofmann zu Marburg auf Grund einer
Disputatio juridica auspicalis de Immunitatibus
castrensibus aliisque libertatibus praecipue
in Hassia die Würde eines Lizenziaten der Rechte.
Er lebte in Homberg als Advokat und starb
daselbst unverheirathet am 12. August 1810.
63 — 64. Zwei jung gestorbene Töchter.
65. Johann Wilhelm Dithmar wurde am
20. Oktober 1783 zu Homberg geboren, studirte
die Rechte und wurde durch Verfügung vom
4. März 1807 zum Advokaten für die Aemter
Ahna, Wilhelmshöhe und Kaufungen mit dem
Wohnsitz in Kassel, später aber zu Homberg bestellt.
Durch seinen Vetter Siegmund Peter Martin,
bei dem er damals als Sekretär arbeitete, wurde
er in den Dörnberg'schen Aufstand verwickelt
und mußte nach dem unglücklichen Gefecht bei
der Knallhütte bei Kassel fliehen. Seine Schicksale
auf dieser Flucht und seinen Eintritt in das von
Kurfürst Wilhelm I. in Böhmen errichtete
hessische Truppenkorps erzählt er selbst in einem
Briefe vom 6. Januar 1810 aus Caaden au der
Eger, welchen er an seinen Oheim, den Hospitals
provisor Rommel zu Homberg schrieb und der
nur auf Umwegen an seine Bestimmung gelangen
konnte, *) wie folgt:
„Nach jener unglücklichen Affaire bei der Knall
hütte flohen ich, M(artin)^ und v. W(olff)
über Naumburg in's Waldeck'sche, gingen bei
Münden über die Fulda und nahmen unsern
Weg die Werra entlang nach der sächsischen Grenz
stadt Berka zu. 3 ) Wir erreichten glücklich die
Grenze nach mancher in Wäldern und Klüften
unter freiem Himmel zugebrachten Nacht und
mancher bei Passirung eines Dorfes ausgestandenen
Angst, ohne daß wir einem Gendarm oder einem
sonstigen Diener der heiligen Hermandad ansichtig
wurden. In Berka ging es mit Extrapost über
Eisenach, Langensalza, Tennstedt und Halle. Hier
hatte Schill einige Tage zuvor sein Wesen ge
trieben, indessen konnten wir ihm nicht folgen,
weil er schon weit weg marschirt war. In Halle
trafen wir zwei Unglücksgefährten, v. D(alwigk)
und v. E(schwege), die aber dem Schill
nachgingen. Von Halle fuhren wir nach Dessau,
mußten aber auf Wittenberg, weil Schill die
Elbbrücke bei Dessau zerstört hatte. Bei Wittenberg
mußten wir verteufelte Aengste ausstehen. Weil
Schill hier die Elbe passirt hatte, so war ein
Truppenkorps von Sachsen da zusammengezogen.
Ueberall mußten wir durch Vedetten durch.
Wittenberg ist bekanntlich eine sächsische Grenz-
’) Auszugsweise ist dieser Brief iu den Nummern 202
und 204 der hessischen Morgenzeitung zu Kassel vom 13.
und 14. Mai 1887, wenn auch mit vielen sinnentstellenden
Druckfehlern abgedruckt, auch vom Verfasser dieser Familien
geschichte zu einem Vortrag im Verein für hessische Geschichte
und Landeskunde zu Kassel am 8. November 1864 benutzt
worden, der dann dem kurhessischen Generalstab auf dessen
Wunsch abschriftlich überreicht wurde.
2 ) Die Namen werden, soviel es möglich ist, ergänzt
wiedergegeben.
3 ) Auf dieser Flucht, wo unter anderen! der Pfarrer
Koch zu Wolferode die Flüchtigen beherbergte, erlitt
Dithmar auch große materielle Einbuße. An einer
anderen Stelle schreibt er darüber: „Am 23. April v. I.,
wo wir in jener unglücklichen Nacht nach Kassel marschirten,
gab ich meinen Mantelsack, worin unter anderen gegen
150 Thaler in Gold und Silber lagen, einem Mann
Namens Kaysen, einem Maurer aus dem Bamberg'schen.
der zu Lenderscheid wohnt. Nach der Retirade konnje ich
mich natürlich nicht weiter darum bekümmern."