118
Vre schwarze Wühle.
Eine Dorfgeschichte aus der Rhön von A. Weidenmüller.
(Fortsetzung.)
s war eine furchtbare Stunde für ihn,
M, als er diesen Einblick in die Pläne seines
Vaters erhielt. Harte und Lieblosigkeit
hatte er ihm immer zutrauen können und zu
getraut, einer groben llnehrlichkeit hätte er ihn
nie für fähig gehalten. Und allen den Zwang,
den er ihm von Jugend auf angethan hatte,
war er imstande ihm zu verzeihen, dies brachte
er nicht fertig ihm zu vergeben. Drohte es ihm
doch das Letzte zu rauben, was er sich ans dem
Zusammenbruch alles seines Glückes allein noch
zu retten hofften seinen guten Namen. Und so
rührte es ihn nicht, als ihn der alte Mann mit
gerungenen Händen bat, doch die Sache den ge
planten Verlauf nehmen zu lassen, und erregte
kein Mitleid in seiner Seele, als nach dem
Zwangsverkauf ihres Mobiliars und sämmtlicher
Liegenschaften er ihn in der ausgeräumten Wohn
stube aus der Erde kauern und stumm vor sich
hinbrüten sah. Erst als er ihn am folgenden
Morgen vergeblich in dem ganzen leeren Hause
suchte, und ihn ein Bauer aus dem Unterdorf
in dieser Beschäftigung mit den Worten unter
brach: „Julian, Deinen Vater haben sie vorhin
unten bei der Schleuse aus dem Wasser gezogen,
er hat wohl schon ein paar Stunden darin ge
legen;" — erst da ward ihm wieder bewußt,
daß es doch ein starkes Band ist, welches Eltern
und Kinder miteinander verbindet; er warf sich
über den starren Leichnam und weinte bitterlich.
Am selben Tag hatte er einen Besuch, der ihm
wohl und wehe zugleich that: Engelburg. Die
beiden hatten sich in den letzten zwei Jahren
kauni einmal angesehen, geschweige denn an
gesprochen, so wußte Julian zuerst nicht, wie ihm
geschah, als das Mädchen plötzlich in dem
dämmerigen Hausgang vor ihm stand: „Du
thust mir gar zu leid. Mein Bruder wollte
nicht zu Dir gehen, da mußte ich selber kommen."
Aber er faßte sich bald, „Lohn' Dirs Gott, daß
Du noch an mich denkst," sagte er mit dem
Schatten eines Lächelns in dem srühgealterten
Gesicht und streckte ihr zögernd und doch froh
bewegt die Hand entgegen. Sie ergriff sie bereit
willig, etwas weiteres hervorzubringen war sie
nicht imstande. Dessen bedurfte es auch nicht,
Julian war mitten in seiner Noth glücklich, daß
sie vor ihm, glücklich, daß sie zu ihm stand, und
Worte hätten dies Glück nicht vermehren können.
Es war ein Glück von kurzer Dauer. Schon
am Tage nach dem Begräbniß seines Vaters,
erzählte ihm Engelburg, daß ein Bruder von ihr,
der vor Jahren nach Amerika ausgewandert war,
und den sie lange für todt gehalten hatten, ihr
das nöthige Reisegeld geschickt habe, um zu ihm
hinüber zu kommen, und daß sie in vierzehn Tagen
weggehen werde. Er war einige Minuten still,
als sie ihm fertig berichtet hatte. -,Jch wollte,
ich könnte mit Dir gehen," sagte er endlich, „aber
ich kann nicht fort, ehe ich mit dem Markus im
Reinen bin."
„Bist Du ihm noch viel schuldig?"
Er nickte finster. „Auf dem Papier ja, in
Wirklichkeit nein. Nicht die Hälfte von dem
Geld, das in den Schuldscheinen meines Vaters
steht, hat er hergegeben, das will ich beschwören.
Aber er soll sich an mir versehen haben, der
Halsabschneider. Entgelten soll er mir, daß er
mir den Vater um Ehre und Leben gebracht
hat, und sollte ich gleich —"
„Julian!" fiel ihm das Mädchen erschrocken
in's Wort, und der Mauerhofer, welcher nicht
weit entfernt von den beiden gestanden und die
Drohung des jungen Müllers gehört hatte, sagte
näher tretend in gedämpftem, warnendem Ton;
„Du, nimm Dich in acht mit solchen Reden.
Du hast deren auch schon vor anderen gethan,
und wie sollen die Leute sie anders verstehen,
als daß Du dem Markus an den Kragen willst?"
Julian zog die Stirn noch finsterer zusammen.
„Mögen sie doch verstehen, was sie wollen. Ich
hasse den Markus wie keinen Menschen in der
Welt, und ich muß meine Rache an ihm haben,
koste es, was es wolle." Er nahm sich zusammen,
als er sah, wie entsetzt Engelburg ihn anstarrte.
„Ich denke, er lüßt's nicht zum äußersten kommen,
und ich rette mir noch so viel, daß ich hinter
Dir her übers Wasser kommen kann. Bleibst Du
bis zum Tag Deiner Abreise hier?"
Sie schüttelte den Kopf „Kannst Du Dich noch
auf unsere alte Base von Petersberg besinnen?
Sie wohnt jetzt in der Stadt und will, daß ich
noch ein paar Tage bei ihr sein soll. Bis
Sonnabend gehe ich zu ihr. Wenn wir uns also
nicht mehr sehen sollten —" sie warf ihrem
Bruder, der in's Haus gegangen war, einen
raschen Blick nach und sagte dann hastig, mit
bebender Stimme: „Julian, komm nicht mehr zu
uns, meinem Bruder graust vor Dir, laß mich
die letzten Tage in seinem Hof ohne Zank und
Streit verleben."