109
durch's Dorf hinab und der Herrenmühle zu-
fchwankte. Ein stolzer Brautwagen war es,
wenige Leute konnten sich erinnern, je einen ge
sehen zu haben, der so hoch und mit so viel
schönem Heirathsgut geladen war. Aber wie bunt
auch die Blumensträuße und Bänder waren,
welche die kräftigen Zugpferde am Zaumzeug intb
die Fuhrleute an den Mützen trugen, und wie
laut auch die Flintenschüsse und Juchschreie der
nebenhergehenden Burschen erklangen, einen fröh
lichen Anblick gewährte der kostbare Brautwagen
der Josepha nicht. Dazu starrte sie selbst, die
vorn auf dem Wagen vor der schön gemalten
Leinwandtruhe saß, viel zu finster in's Leere
hinein, dazu war der Julian, der neben ihr
lehnte, ein viel zu blasser, schweigsamer Bräutigam.
Sie hatten wohl beide Grund genug zu menschen
feindlichen Gedanken. Der Josepha war, als sie
aus ihrem Dorfe wegfuhren, ihr alter Schatz
über den Weg gesprungen und hatte mit einem
ausgelassenen Juchzer seine Mütze hoch in die
Luft geschleudert, dem Julian grauste vor dem
Augenblick, in dem sie ani Mauerhof vorüber
kommen würden. Er hatte ihm ausweichen wollen.
„Das Gewitter wird bald losbrechen," hatte er
unterwegs zu seiner Braut gesagt, „wäre es nicht
besser, wir führen auf dem kurzen geraden Feld
weg statt auf der langen Landstraße zur Mühle?"
Aber da war ihm die Josepha so scharf in die
Rede gefallen: „Schämst Du dich mit mir ins
Dorf zu kommen?" daß er sich auf die Lippe ge
bissen hatte und noch um einen Schein bleicher
geworden war. Der Wagen war keine hundert
Schritte mehr vom Mauerhos entfernt, da er
füllte sich Julians Wetterprophezeiung: Blitz
auf Blitz fuhr aus den weißgrauen Wolken, der
Donner krachte, ja brüllte geradezu, und ein
Hagelschauer prasselte auf das Dorf hernieder.
Es sah toll genug aus, wie die scharfen glitzernden
Körner die geschmückten Pferde und den blanken
Hausrath des Brautwagens umhüpften, selbst
Josepha sah das trotz aller Angst und ein kaltes
Lächeln zuckte um ihren Mund. Nur Julian
merkte kaum etwas von dem Aufruhr in der
Luft. Er sah nur das Mädchen, das vor dem
Mauerhofe stand, und dem der Hagel unbarmherzig
in das regungslose Gesicht und in die wirren
braunen Löckchen über der Stirne schlug, das
Mädchen, welches er liebte mit jedem Schlag
seines Herzens und von dem er doch nun scheiden
mußte fürs ganze lange Leben. So wurde er
auch nicht die lahme Barbara gewahr, die Dorf
hexe, die aus ihre Krücke gestützt mühsam an
den Häusern hin hinkte und aus ihren rvth-
umränderten triefenden Augen den ihr entgegen
kommenden Wagen musterte. Der Fuhrmann
sah sie dafür um so besser und durch das Un
wetter schon in Zorn versetzt, rief er ihr drohend
zu: „Aus dem Weg, alte Vogelscheuche, oder
ich zeige Dir mit der Peitsche, wo Du hingehörst."
Und da hörten denn auch Julian, Josepha und
Engelburg, was das boshafte Bettelweib zur
Antwort gab: „Allen Heiligen sei's gedankt, daß
das nicht dort ist, wo ihr hinfahrt. Schwarz
war die Herrenmühle immer, aber heute zieht das
gebrannte Herzeleid selber ein. Denkt an mich heute
in drei Jahren, wenn ihr dann noch lebt."
Alle Weissagung, selbst die, welche dem unlautern
Mund eines gekränkten, übelwollenden Weibes
entstammt, hat die Eigenschaft, im Gedächtniß
zu haften; so lange die jammervolle Ehe zwischen
Julian und Josepha währte, und so viel sie in
derselben vergaßen, eins wurden sie nie lvs, eins
warfen sie sich immer wieder vvr: die Worte der
Bettlerin. „Wie konnte ich nur so unsinnig sein,
meinen Fuß in dieses Unglückshaus zu setzen?"
murmelte Josepha, als das eine Pferd ein Bein
brach, und das andere so lange krank im Stall
stand, bis der Thierarzt sagte: „Es wird nicht
wieder, gebts dem Schinder;" als der Mühlknecht
nnter's Rad fiel und monatelang im Land
krankenhaus liegen mußte, und als ein Wvlken-
bruch ihre besten Aecker verwüstete Und wenn
der Gerichtsbote wieder und wieder kam, um zu
pfänden, weil die Gläubiger zu ihrem Geld kommen
wollten, dann sagte Julian kurz und herb:
„Daran bist Du schuld mit Deinem bißchen Geld,
daß uns jetzt niemand mehr borgen will. „Hast
ja eine reiche Frau, da kannst Du baar zahlen,"
heißt's überall. Als ob von Deinen zwanzig
tausend Mark auch nur noch ein Pfennig da
wäre."
Es war ein Glück, daß die Qual ihres
Zusammenlebens kaum zwei Jahre dauerte. Im
zweiten Sommer erkrankte die Müllerin plötzlich,
an Brust- und Nervenfieber, wie es im Dorfe
hieß, an einer heftigen Lungenentzündung, wie
der herbeigerufene Kreisarzt feststellte, und war
nach wenigen Tagen todt. Die letzten Stunden
ihres Lebens waren für Julian eine Zeit bitterster
Erkenntniß. „Fort aus der schwarzen Mühle!
Fort aus der schwarzen Mühle!" rief sie während
derselben, von beängstigenden Phantasien verfolgt,
fast unustterbrocben. „Sie haben mich hinein
gebracht, damit ich den Ottmar — das war ihr
einstiger Geliebter — nicht mehr sehen solle.
Ich sehe ihn aber doch. Juhu, da springt er
quer über den Weg, unb mir schlägt der Hagel
in's Gesicht. O wie dunkel ist's hier und wie
kalt! Und ich hatte doch so viel Geld, so viel